Mit Unfug zum Rundfunk verwirrt die taz in dieser Woche ihre Leser. An dieser Stelle bildblogge ich den Artikel „Berliner Rundfunk – Multikulti will wieder ins Radio“ vom 08.10., der in der Printausgabe vom Freitag erschienen ist.
Freunde des ehemaligen Senders Multikulti muss ich enttäuschen: Es gibt keine konkreten Pläne, dass Multikulti wieder per UKW ausgestrahlt wird. Auch wenn taz-Autor Bastian Brinkmann dies glauben machen will. Kurz zur Erinnerung: Ende 2008 hat der RBB Radio Multikulti wegrationalisiert und strahlt seit dem Funkhaus Europa vom WDR auf der 96,3 MHz aus. Aus dem alten Team hat sich eine Gruppe abgespalten, die seitdem die Gedanken von Radio Multikulti in dem Webradioprojekt radio multicult2.0 weiterleben läßt. Viele würden multicult2.0 gerne auch per UKW hören. Und genau diesen Leuten wurde anscheinend der Artikel gewidmet.
Jetzt ist dieser Text an sich schon komisch. Er beginnt mit dem Bild eines ominösen Bärens, bei dem sich jeder Leser fragt: Wer ist dieser Bär? Was macht er überhaupt?
Der Bär sitzt im Sessel und drückt die Daumen. Er hofft darauf, dass er bald Tele5 im Fernsehen gucken kann – behaupten jedenfalls die Werber, die für den TV-Kanal das Bärenplakat gestaltet haben. Es soll den Medienrat Berlin Brandenburg dazu bewegen, den Spielfilm-Sender zuzulassen. Ohne Plakate, aber mit prominenter Unterstützung versucht auch Radio Multicult 2.0, eine Frequenz zu bekommen. Am Freitag tagt der Medienrat.
Am Ende des Textes taucht er noch mal auf: „Vielleicht spürt der Rat auch den politischen Druck des Stiftervereins – und den des Bären.“ In der Zeitung gibt es kein Foto von einem Bären, der sich auf multicult2.0 oder Tele5 freut – stattdessen eine nette Dame, die korrekt in der Bildunterschrift vorgestellt wird. Online gibt es nur ein Radio als Symbolbild. Unglücklich auch die Kontextualisierung durch „am Freitag tagt der Medienrat“ – das suggeriert, dass der Medienrat am Freitag entscheidet, ob multicult2.0 oder Tele5 zugelassen werden.
Aber der Text ist nicht nur komisch, er ist auch falsch. Der Medienrat hat sich gestern überhaupt mit keiner Frequenzvergabe beschäftigt. Eine Vergabe stand gar nicht zur Debatte, denn da hätte zuvor eine Frequenz ausgeschrieben werden müßen. Ich war gestern kurz bei der Medienanstalt Berlin Brandenburg und weiß daher, dass es wohl gestern um die potentielle Ausschreibung zweier Frequenzen ging. Der Multikulti-Nachfolger kann sich theoretisch auf diese Frequenzen bewerben – eine entsprechende Bewerbung, wie der taz-Artikel suggeriert, liegt aber nicht vor. Aber gehen wir erst einmal weiter durch den Text.
5.000 Zuhörer verzeichnet die Website täglich. Brigitta Gabrin, die Projektleiterin des Senders, schätzt jedoch, dass auf anderen Internet-Portalen noch mal doppelt so viele Menschen pro Tag einschalten. Das sei technisch allerdings nicht zu messen.
Dieser Absatz strotz voller Fehler. Eine Website verzeichnet keine Zuhörer sondern hat Leser oder Besucher. Wahrscheinlich ist das Internet-Radio gemeint. Wenn andere Internet-Portale ein Internet-Radio einbauen oder verlinken, dann treibt das auch die Stream-Statistiken der Ursprung-Servers in die Höhe. Gabrins Einschätzung ist wohl eher Wunschdenken, denn technische Realität.
Der Medienrat könnte auf seiner heutigen Sitzung theoretisch eine Frequenz an Multicult 2.0 vergeben. Es gibt allerdings nur zwei Frequenzen, die dafür in Frage kämen, denn der Luftraum über Berlin ist voll. Nach dem Mauerfall wurden nicht nur zwei Stadtteile vereinigt, sondern auch zwei Frequenzgebiete, viele Funkwellen waren doppelt belegt.
Auch hier sieht die technische Realität anders aus: Funkwellen können nicht doppelt belegt werden. Es geht aber um die Frequenzen 88,4 und 90,7, die neu ausgeschrieben werden können, wenn sich der Medienrat hierfür entscheidet. Die 88,4 und 90,7 waren noch nie belegt. Zwischen AFN und SFB1, später Radio Charly/star FM und 88,8 bzw. radioBerlin 88,8 war immer Platz. Auch zwischen BBC und Berliner Rundfunk war nie ein Sender. Die Aussage „viele Funkwellen waren doppelt belegt“ ist völliger Unsinn. Funkwellen belegt man nicht doppelt. Funkwellen sind der Träger der Radioinformation. Wenn man sie doppelt belegte, hörte man zwei Programme gleichzeitig. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Autor „Frequenzen“ meint, ist auch das falsch. Man belegt zwar Frequenzen mehrfach, hat jedoch bei UKW einen Mindest-Abstand von ca. 240 km einzuhalten – wie ich mir habe erklären lassen. Es gibt Fälle, wo dieser unterschritten wird, aber nie auf einer Fläche wie Berlin. Was offenbar gemeint ist, dass durch die besondere Situation im geteilten Berlin, die Konzentration an Radio- und Fernsehprogrammen in Berlin höher ist, als sie gewesen wäre, wenn Berlin nie geteilt gewesen wäre. Am Morgen nach der Sitzung ist die UKW-Realität von multicult2.0 in noch weitere Ferne gerückt: Eine Pressemitteilung mit der Entscheidung zur Frequenz-Ausschreibung gibt es nicht.
Anderseits ist der Medienrat frisch besetzt: Fünf von sieben Mitgliedern werden zum ersten Mal an der Sitzung teilnehmen und sich grundsätzlich über die Medienlandschaft Berlin-Brandenburgs und die Forderung nach einer Frequenz für Radio Multicult 2.0 informieren. Vielleicht spürt der Rat auch den politischen Druck des Stiftervereins – und den des Bären.
Das Problem: Es gibt keinen Druck. Es gibt nicht einmal eine Bewerbung. Denn es gibt ja nicht einmal eine Ausschreibung. Wenn die Ausschreibung entschieden wird, dann muss multicult2.0 abwarten, bis die Ausschreibung beginnt. Wie es sich für Berlin gehört, werden dann unzählige Interessenten einen Antrag einreichen – dazu wird bestimmt auch multicult2.0 zählen. Nach einer Frist, die nach der Ausschreibung mindestens vier Wochen betragen muß, kann der Medienrat sich mit den Bewerbern befassen und die ggf. zu Anhörungen einladen. Wir sehen: Von einer Frequenz-Entscheidung von multicult2.0 sind wir meilenweit entfernt.
Zu all dem Überfluss ist der Autor mit den ganzen Namenswirrwarr selbst durcheinander gekommen. Mal ist von „Multikulti“, mal von „Multiculti“ die Rede. Aber da kann man ja schon einmal durcheinander kommen – also: das alte RBB-Radio meinen und dann Multiculti schreiben. Der alte Sender Radio Multikulti vom RBB schreibt sich mit „k“ – das abgesplitterte Nachfolgeprojekt mit „c“ – und eigentlich auch ohne „i“ Am Ende. Von daher ist sebst die Überschrift „Multikulti will wieder ins Radio“ potenzierter Unfug, denn der echte, alte RBB-Sender ist hier überhaupt nicht Gegenstand des Themas.
Liebe taz – was hast du da nur gemacht?!
Ich glaube die Absicht des Autors war eine ausschließich positive. Vielleicht glaubt er an Multikulti. Vielleicht war er Stammhörer. Vielleicht hat er Freunde beim Nachfolgeprojekt multicult2.0. Aber das sind jetzt pure Mutmaßungen von meiner Seite – das gebe ich zu. Die sind aus meiner Erfahrung aber nicht unbegründet. Oft -und darum muß ich auch den strengen Ton in diesem Beitrag anschlagen- vergessen Journalisten ihre Sorgfalt, wenn es um den eigenen Berufsstand geht. Die Welle der Empörung gerät im Verhältnis größer, wenn eine kleine Lokalredaktion geschloßen wird, als wenn ein Automobilwerk mit tausenden von Arbeitsstellen ins Wanken gerät. Medienjournalismus ist kein einfaches Sujet.
Es ist übrigens nicht verwunderlich, dass dieser Artikel nicht auf der Medienseite der taz erschienen ist, sondern nur auf der Berlinseite. Auf Nachfrage gab man sich in der Medienredaktion verwundert über die Existenz des Artikels. Bastian Brinkmann ist unbekannt. Die taz-Suche zeigt, dass sein erster Artikel im August 2008 erschien. Ob Neuer, Pratikant, mit oder ohne Multikulti-Vergangenheit oder jemand mit einem schönen Pseudonym? Wir wissen es nicht.
Was bleibt, ist schlechter Medienjournalismus und enttäuschte Leser, die sich vielleicht tatsächlich und auch zurecht auf eine Frequenz von multicult2.0 gefreut haben.
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