Die Bundesliga kommt in der Sportschau eindeutig zu kurz. In 90 Minuten Sportschau gibt es ca. 35 Minuten Spielberichterstattung, der Rest wird mit Ansagen, Trailer und Werbung aufgefüllt. Das Kritisiert der Fachbereich Psychologie uns Sportwissenschaft der Uni-Münster in einem offenen Brief an die Sportschau-Verantwortlichen, der heute veröffentlicht wurde. Zahlreiche gewichtige Erstunterzeichner unterstützen das Schreiben, welches den —ffentlich-Rechtlichen Rundfunk auf seine eigentliche Aufgabe zurückbesinnen soll: Guter Berichterstatung über die Bundesliga. Den Offenen Brief mit Inhalt und Unterschriften könnt ihr lesen, wenn ihr auf mehr klickt.
FACHBEREICH PSYCHOLOGIE UND SPORTWISSENSCHAFT
Akademisches Fußball-Team der Sportwissenschaft
Rettet den Fußball vor dieser Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
Offener Brief an die Verantwortlichen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland:
An den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten in Deutschland
An den Vorsitzenden des Rundfunkrates des Westdeutschen Rundfunks
An den Vorsitzenden des Verwaltungsrates des Westdeutschen Rundfunks
An den Intendanten des Westdeutschen Rundfunks
Nachrichtlich
An den Vorsitzenden des Sportausschusses des Deutschen Bundestages
An den Vorsitzenden des Sportausschusses des Landtages Nordrhein-Westfalen
An den Präsidenten der Deutschen Fußballliga
An den Präsidenten des Deutschen Fußballbundes
An den Präsidenten des Verbandes Deutscher Sportjournalisten
Sehr geehrte Damen und Herren!
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. August 2005 wurde von Jürgen Kaube die Berichterstattung über den ersten Spieltag der 43. Bundesligasaison analysiert. Er legte detailliert dar, dass die Berichterstattung in der „Bundesliga-Sportschau“ über die Spiele etwa 36 Minuten dauerte und die übrigen knapp 60 Minuten für unterschiedliche Werbetrailer und Ansagen verbraucht wurden. Bevor der Zuschauer das erste Spiel sah, wurde er circa zwanzig Minuten mit Ankündigungen über „Fußball vom Feinsten“ und allen möglichen weiteren Werbemitteilungen unterhalten. Am Ende bestand die Bundesliga-Sportschau aus knapp fünfzig Sendeelementen dieser Art. Jürgen Kaube macht damit einen Sachverhalt öffentlich und kritisiert, gewiss in zugespitzter Weise, einen Verfall der Sportberichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Und das Wichtigste: Kaube hat Recht. Leider.
Die Verantwortlichen haben offensichtlich einen erwachsenen Zuschauer vor Augen, der vom Fußball nichts versteht und der durch ständige Wiederholungen von Selbstverständlichkeiten und Ankündigungen auf das bevorstehende Vergnügen hingewiesen werden muss. Dieser Art von Berichterstattung wohnt eine Tendenz zur Infantilisierung inne.
Durch die permanente, aufdringliche Berichterstattung über das vermeintlich Spektakuläre und , manchmal auch über das auf das AbstruAbstruse wird ein völlig verzerrtes Bild des Fußballs erzeugt. In den sowieso schon kurzen Berichten dominieren Spielelemente, die zwar elementar zum Fußballspiel gehören wie Fouls, Abseits, Fehlschüsse oder Tore, die aber keineswegs die Gesamtheit eines Fußballspiels ausmachen noch den Verlauf eines einzelnen Spiels wiedergeben. Indem die Berichterstattung über die einzelnen Spiele überwiegend die spektakulären Seiten des Fußballs zeigt, wird der Eindruck erzeugt, als ob Fußball nur aus Fehlentscheidungen der Schiedsrichter, Fouls der Spieler, Fehlschüssen oder Toren besteht. Die Zerlegung des Fußballspiels in wenige, nicht-repräsentative Situationen nimmt dem Fußballsport den Spielcharakter. Die Darstellung von Ereignisstafetten, die weitgehend unreflektiert als Höhepunkte inszeniert werden, geschieht oft ohne analytische Kompetenz. So erhält der Zuschauer keine Chance, sich angemessen über ein Bundesligaspiel im Fernsehen zu informieren.
Die Sportschaujournalisten (Reporter, Interviewer, Moderatoren) haben sich in ihrer Arbeit immer mehr von einer fachlichen Berichterstattung, die erläutert, kommentiert, einordnet und bewertet, entfernt. Die Bundesliga-Sportschau berichtet nicht mehr über den Fußball, sondern sie gerät mehr und mehr zu einer Werbesendung für Produkte, Personen und Sendungen. Sie ist tendenziell zu einer Werbegameshow geworden. Damit wird die Unterscheidbarkeit von einem Ereignis und den Bericht darüber und die Unterscheidung der Unterscheidung Akteure nach unterschiedlichen Rollen aufgehoben.
Der Fußball mit seinen vielfältigen Erscheinungsformen ist in den letzten 30 Jahren zu einem der dominierenden Elemente des alltäglichen Lebens in Deutschland geworden. Er spricht, aktiv betrieben oder von Zuschauern genossen, fast alle Altersgruppen und mehr und mehr beide Geschlechter an. Durch seine unwürdige, unerwachsene und klamaukhafte Inszenierung in der Bundesliga-Sportschau wird dem „Ernst des Spiel“ Schaden zugefügt. Gerade wenn die Auffassung vertreten wird, dass der durch allgemeine Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk ein hohes Gut ist, dem eine Vorrangstellung im dualen System zukommt, ist sein „klassischer Auftrag“ beim Fußball besonders ernst zu nehmen, denn die Fußballberichterstattung erreicht ein breites Publikum wie sonst nur noch wenige Sendungen.
Sicher ist: Fußballberichterstattung soll unterhalten. Aber sicher ist auch: Fußballberichterstattung soll informieren. Beides gleichzeitig scheint im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in der Sportschau nicht mehr möglich zu sein.
Die Unterzeichner fordern deshalb die für die Fußballberichterstattung im Fernsehen Verantwortlichen auf, diese Entwicklung zu stoppen und dafür Sorge zu tragen, dass im Interesse der fußballbegeisterten Zuschauer eine Berichterstattung stattfindet, die der Faszination und spielerischen Bedeutung des Fußballsports angemessen ist und die diesen Sport nicht als Umfeld für Werbung, Vermarktung und Inszenierung opfert.
Erstunterzeichner
Prof. Dr. Jean-Christophe Ammann, Frankfurt am Main; Prof. Dr. Bernd Blöbaum, Institut für Kommunikationswissenschaft, WWU Münster; Bernd Feldhaus, MdL a. D., Münster; Bernd Gäbler, ehem. Leiter des Adolf Grimme Instituts, Bochum; Prof. Dr. Klaus Harney, Institut für Pädagogik, Ruhr-Universität Bochum; Dipl. Sozw. Siegbert Heid, Koordinator des Gesprächskreises „Sport — Gesellschaft — Zukunft“ der Friedrich-Ebert-Stiftung; Günter Joschko, Projektleiter Deutsche Akademie für Fußball-Kultur, Nürnberg; Prof. Dr. Dieter H. Jütting, Institut für Sportkultur und Weiterbildung, WWU Münster; Prof. Dr. Wolfgang Keim, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Paderborn; Prof. Dr. Michael Krüger, Institut für Sportwissenschaft, WWU Münster; Dr. Rainer Moritz, Leiter Literaturhaus Hamburg; Norbert Niclauss, Kulturmanager, Berlin; Prof. Dr. Gunter A. Pilz, Universität Hannover; Dietrich Schulze Marmeling, Autor, Altenberge; Prof. Dr. Jürgen Schwark, Betriebswirtschaftslehre, Fachhochschule Gelsenkirchen; Prof. Dr. Gerhard Schewe, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftlehre, WWU Münster; Axel Sedlack, Kulturdezernent Unna; Prof. Dr. Bernd Strauß, Institut für Sportwissenschaft, WWU Münster; Prof. Dr. Klaus Theweleit, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe; Dr. Jochen Wagner, Evangelische Akademie Tutzing; Hermann Wallmann, Literaturkritiker, Münster; Dr. Martin Wörner, Projektleiter „Deutsches Fußballmuseum“, Münster.
Neun der Unterzeichner sind Mitglied im Beitrat der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur, Nürnberg.
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