Es ist bitterlich. Ein Thema hat mich in der letzten Seminar-Woche dann doch ziemlich beschäftigt: Es ist extrem leicht, persönliche Daten im Internet herauszufinden. Wir haben eine Boulevard-Meldung bekommen und sollten die Hintergründe recherchieren. Es ging um einen Hobby-Fotographen aus Mainz. Er lichtete gerne Mädchen aus der Gothic-Szene ab. Diesmal hat er eine junge Abiturientin aus Brandenburg in eindeutigen Posen fotographiert; sie starb dabei! Die Bild und viele andere Zeitungen haben über die Geschichte des Foto-Models berichtet.
Ausgehend von diesem Artikel recherchierte unsere Gruppe im Internet. Der Fall wurde vom Dozenten nicht bewußt ausgewählt – er war frisch oder klang kurios. Innerhalb von 45 Minuten haben wir den vollen Namen des Fotographen herausgefunden. Aber nicht nur das. Wir wußten noch viel mehr. Wir kannten seinen Beruf, seine private Handynummer, seine Webseite, seine Wohnung in einem Plattenbau, seinen besten Weg zur Arbeit, seine Religion, seine Webprofile, E-Mail-Adressen und viele Aufenthaltsorte in Deutschland. Innerhalb von nicht mal einer Stunde haben wir viel über ein vermeintliches Doppelleben erfahren. Auf der einen Seite fanden wir einen seriösen Wissenschaftler, der in einem Museum arbeitet. Auf der anderen Seite einen Hobby-Fotographen, der in seiner Freizeit die Gothic-Szene liebt und vermutlich jetzt die schlimmste Woche seines Lebens erlebt hat.
Wie unheimlich! Als Journalist will ich mich über die Möglichkeiten des Internets nicht beschweren; im Gegenteil. Aber die willkürliche Auswahl des Beispiels, mit dem wir gearbeitet haben, zeigt: Viele ahnen gar nicht, wie leicht ihre Daten im Internet zu recherchieren sind, auch wenn sie mit verdeckten Namen arbeiten.
Interne Werbung: Twiturl.de ist da – ein Werkzeug für Kurz-URLs von Malte und mir.
Thomas wanhoff meint
ich habe frueher einfach die Nachbarn gefragt. wenn man damals sagte man kommt „von der Zeitung“ haben die alles erzaehlt. so habe ich mal einen Mord an einem Vormittag aufgeklaert. im obdachlosen-Milieu. da hättest du dir mit deinem Internet die Zähne ausgebissen.
Stefan meint
Mich wundert, dass Dir sowas erst jetzt auffällt. Über die Gefahren der Datenschleuder Internet wird schließlich schon seit Jahren berichtet – trotzdem stellen sehr viele Leute ihre Daten gerne in Massen ins Netz. Schon Personalchefs schauen sich bei den interessanten Bewerbern schon mal an, was sich über sie unter XING, StudiVZ und anderen Portalen findet. Wahrscheinlich stammen die wenigsten Daten aus fremden Quellen; die meisten Infos über sich stellen die Leute selbst ein.
daniel meint
@Thomas, lol – der Zeitungstrick funktioniert in Siedlungen mit Küchengardinen sicher heute auch noch.
@Stefan, na, das fällt mir nicht erst jetzt auf. Ich erinnere nur mal an den peinlichen Fall der Jura-Studentin (!!) Vera aus Münster, die ihr Liebesleben auf Jetzt.de ausbreitete und das via StudiVZ alles zu rekonstruieren war. Manfred hatte sogar eine Vorlesung mit ihr, wie sich in ihrem Online-Stundenplan herausstellte (!!) Du hast recht: Alles Daten, die von den Personen selber stammen. Es ist ja nicht schlimm, wenn Daten oder Infos im Internet stehen. Schlimm ist es, wenn Leute sich keine Gedanken darüber machen, was sie freiwillig direkt oder über Umwege (Telefonbuch) im Internet veröffentlichen. Das hat mich bei dieser Geschichte wieder erstaunt.
Gero meint
Hallo Daniel,
Wir sind gerade dabei, ein Info-Portal zum Thema Personensuche zu erstellen, dass nicht wie yasni & co. darauf ausgerichtet ist, Profile zu erstellen, sondern den Kern der Sache – die gezielte Suche nach vermissten personen – zu unterstützen.
Mich würde vor Aallem interessieren, wie ihr vorgegangen seid. vielleicht magst Du dich ja mal in unserem blog äußern und ein paar Tipps geben!?
Für Fragen zu unserem Projekt stehe ich gern zur Verfügung.
Vielen Dank im voraus
Gero
Scott Daellian meint
Es landet allerdings auch einiges „im Internet“, was ursprünglich nicht dazu gedacht war.
Kenne jemanden, der im Fido-Netz (ein Ende der 80er, Anfang der 90er unter DFÜ-Enthusiasten recht beliebtes Netz lokaler BBS) über Jahre hinweg kein Blatt vor den Mund genommen und sich damit innerhalb desselben nicht nur Freunde gemacht hat.
Und nach dem Motto „viel Feind viel Ehr“ trieb ihn das nur noch weiter an, bis dann etliche Forenbeiträge in der Tat schon als grenzwertig anzusehen waren.
Was damals die wenigsten FidoNetz User gewußt oder auch nur geahnt haben: etliche Foren wurden durch (von Fido-Seite aus durchaus nicht einhellig positiv aufgenommenes) Gating auch mit Usenet-Foren gekoppelt, und dadurch auch von DejaNews gespeichert.
DejaNews wiederum wurde dann von Google geschluckt und in deren Suchsystem integriert.
Und so ist das vermeintliche „Stammtischgeschwätz“ von vor 15 Jahren nach wie vor in oftmals peinlicher Weise mit dem Namen so manches Mitmenschen verbunden.
Ist dieser Name dann noch dazu ziemlich selten, dann hat man/frau bisweilen durchaus ein Problem.
So geschehen auch mit meinem Kumpel. Nein, es handelt sich nicht um einen weiterhin aktiven „Fido-Netzpromi“ vom Kaliber eines „Andreas Post“, doch gerade darum ist es schon herb, was unter seinem Namen so alles an „Meisterwerken“ aus dem Netz gefischt werden kann.
Vor ein paar Jahren wollte er, nachdem er seine (wohl auch durch seine damalige Freundin, eine kommunistische Anti-Schah-Revoluzzerin, die erst sehr spät zur Besinnung kam und dann ins Exil ging, mit beeinflußte) „rote“ Phase hinter sich hatte, in eine Partei eintreten, die für ihn während dieser Phase der Inbegriff des Bösen war.
Als die sahen, weas er damals so alles verzapft hatte, gab es erstmal etliche Rückfragen.
12 Jahre nachdem der Mist geschrieben wurde!
Michael K. Trout meint
Das Internet hat die Weltkugel zum Dorf gemacht, in dem sich das Dorfgeschwätz schnell verbreiten kann. Im guten, alten Dorf mußte nicht einmal ein Name genannt werden. Jeder wußte, wer da wohl gemeint war … der mit der dicken Nase … hast DU schon gehört?
Sensationen, Menschen heischen nach Sensationen, weil sonst das Leben der Normalisierten einer zu großen Monotonität zum Opfer fallen würde. Hast DU schon gehört? Das SCHWEIN … ich wußte es schon immer … und jeder weiß, wer gemeint ist … der mit der dicken Nase …
Beruhigend und gleichzeitig beunruhigend ist die Entwicklung der Internetwelt zum Dorf. Die Mechanismen sind seit Jahrhunderten gleich, nur die Grenzen des Dorfes haben sich erweitert.
Nachdenklich macht mich die Tendenz, daß all zu schnell von einer Sache auf die nächste geschlossen wird.
Hast DU schon gehört? Der mit der dicken Nase … er trägt braune Schuhe … und das mit XXXXXXXXXX … hast DU schon gehört? Ich wußte es, wer braune Schuhe trägt … DU wußtest es doch auch … ist zu dieser Tat fähig …
Bedenklich, wie gut die traditionellen Mechanismen im Internet funktionieren.
Bedenklich, daß wir uns darüber wundern müssen.