Erinnert ich euch noch an den ersten Montag dieses Jahres? Wir hatten überall Schnee. Pünktlich zum Beginn der Arbeitswoche gab es deswegen ein Verkehrschaos, welches irgendwie keins war. Im Büro wollten sich die Leute über jedes Detail des Wintereinbruchs informieren. Und irgendwo in dieser medialen Schneewehe wirbelte mein kleines Quick-and-Dirty-Video durch die Gegend. Zwei Wochen später bin ich immer noch von den Zugriffszahlen überrascht und wundere mich, was für komische Dinge im Netz passieren können. Meine Zutaten bei diesem Experiment: Die Flipkamera, YouTube, mein Blog und natürlich Twitter.
Die Flip
Meine „Flip HD„-Kamera habe ich in meinem Volokurs an der Akademie für Publizistik kennengerlernt. Eine Dozentin der DPA präsentierte uns diese Minikamera als das Ding in den Staaten. Ein roter Knopf, ein USB-Anschluß und fertig. Mich hat die Flip fasziniert. Besonders die Qualität der Bilder, trotz der Größe. Deswegen habe ich mir die HD-Kamera etwas später gekauft. Ich habe mir geschworen, sofort ein Video zu machen, wenn sich die nächste Gelegenheit bietet.
Der Schnee
Mit halben Ohr habe ich am Montag vor zwei Wochen die Schneeberichterstattung im Morgenmagazin und im Radio verfolgt; die Mehrheit meiner Aufmerksamkeit widmete sich dem Blick aus dem Fenster gestarrt. Eine Kollege rief mich an, ob ich statt um 11 Uhr schon um 08 Uhr kommen kann, um die Sendung zu unterstützen. Irgendwie wunderte ich mich schon über das Schneeinteresse, das über alle Medienkanäle bei mir eintrudelte. Beim Rausgehen lag direkt neben dem Schlüssel die Flip – ich habe sie gleich genommen und gestartet. Das wäre doch etwas für den Arbeitsweg. Ich habe einfach draufgehalten und erzählt, was mir spontan in den Sinn gekommen ist.
Die —ffentlichkeit
Das wäre doch etwas für mein Blog, dachte ich und habe die Flip angeschloßen auf den Youtube-Knopf gedrückt und das Video unbearbeitet ins Netz geladen. Kurz nach 08 Uhr war die Aufzeichnung und schon um 09 Uhr war das Video hochgeladen und in meinem Blog eingebunden. Meine Twitterleser habe ich kurz über den Blogeintrag informiert.
Die Frage
Um 09:30 Uhr erreichte mich diese Twitter-Nachricht:
@fiene Dürfen wir dein Video im Schnee-Ticker auf RuhNachrichten.de/MuensterscheZeitung.de zeigen? http://twiturl.de/halni
Okay, cool – warum nicht. Mal sehen was passiert. Es blieb aber nicht bei den Zeitungen aus dem Hause der MZ. Auch RP ONLINE hat mich in seinen Live-Ticker zur Schneeberichterstattung eingebaut:
+++ 9.37 Uhr Daniel Fiene wohnt im Medienhafen in Düsseldorf und hat sich auf dem Weg zum Büro gefilmt. Haben auch Sie Fotos oder Videos vom Schnee in Ihrer Stadt? Dann schicken Sie sie uns. Wir suchen die besten Fotos aus der Region. Bitte per Mail an opinio@rp-online.de.
Den Rest des Tages habe ich mich nicht mehr um das Video gekümmert. Am Abend kam dann der Schreck.
Der Abend
Irgendwann am Abend klappte ich dann wieder mein Notebook auf und schaute, was in der Zwischenzeit geschah. So einiges. Die Besucherzahlen in meinem Blog hatten sich verzehnfacht. Mein Youtube-Video wurde 2.000 Mal angesehen! In meinem Youtube-Profil klebte ein Orden „Platz 78. der heute in Deutschland meist angeschauten Videos„. Oha! Werfen wir einen Blick in die wunderbaren Statistiken, die Youtube mittlerweile anbietet.
Nicht nur die RP- und MZ-Zeitungen haben mein Video eingebaut – auch viele andere NRW-Printtitel fanden mein Video verlinkungswürdig. Es geht noch weiter.
Interessanter finde ich auch die Aufteilung meiner männlichen und weiblichen Zuschauer.
Jetzt müßte ich natürlich die Gesamtstatistik aller Youtube-User kennen um bedeutungschwangere Rückschlüsse ziehen zu können. Aber ein paar mehr Damen hätte ich schon gewünscht. Jetzt kommt meine Lieblingsstatistik:
So alt? Haben Zeitungswebseiten so alte Besucher? Oder gar Youtube? Oder interessiert sich die Jugend nicht mehr für Schnee, weil sie das gar nicht mehr kennen? Mein Video scheint vom demographischen und Klimawandel gleichermaßen beeinflusst zu werden.
Im Wochenverlauf sehen wir so etwas wie einen Longtail. Am ersten tag gab es 2.000 Zuschauer. Nur ganz wenige der „Klicker“ haben das Video nicht genutzt (Unterschied grüne und gelbe Linie). In den letzten zwei Wochen sind „nur“ 468 Aufrufe hinzugekommen.
Fazit
Mein Video-Experiment zeigt: Es zählt nicht Qualität, sondern Schne(e)lligkeit. Einige haben sich gefragt, warum ich denn so ein Quick-and-Dirty-Video veröffentlicht habe. Das habe ich mich auch gefragt; ich wollte einfach mal sehen, was passiert. Dass ich Videos auch in gut machen kann, haben wir hier ja schon bewiesen. Mit diesen aufwendigen Videos habe ich aber in 24 Stunden nicht annähernd so viele Zuschauer versammeln können, wie mit dem Schneevideo. Mein Fazit: Das Video war irgendwie ein Experiment um viele Leute zu erreichen.
Und so geht’s – das ist meine Formel:
- Kamera nutzen, die einfach und schnell zu bedienen ist.
- Direkt in Youtube hochladen – möglichst ohne Zeit im Schnitt zu verlieren
- Im Blog posten und anschließen die Twitter-Leser informieren.
Auf der anderen Seite ist das Fazit aber auch ein wenig deprimierend. Da setzt man sich hin und produziert mit viel Aufwand einen Film und bekommt zwar Lob; viele Zuschauer kommen aber bei so einer Quick-und-Dirty-Aktion. Verrückt, dieses Internet.
Malte meint
interessant! vielen dank für die aufschlüsselung, das werfe ich heute mal in die montagsrunde in der agentur.
Julia meint
Spannende Sache, die du da beobachtet hast!
Themen wie Wetter sind einfach auch immer ein Dauerbrenner und in deinem Fall ganz nach dem Sprichwort mit dem frühen Vogel wahrscheinlich eines der ersten Videos die man dazu gefunden hat.
Ich denke, dass bei aktuellen Anlässen definitiv die Schnelligkeit zählt, wenn es darum geht, viele Zuschauer zu bekommen. Was mich interessieren würde: Was würde passieren, wenn Du das material von dem Video genommen hättest, quasi ein Best-Of geschnitten, vielleicht noch mit ein paar Infos gefüttert und zusätzlichen Bildern zurechtgehübscht hättest und dann ein paar stunden nach der Quick and Dirty Version online gestellt hättest. Was wird mehr geschaut?
David Zwadlo meint
Danke für den Eintrag. Äußerst interessant. Bin eigentlich auch eher der Qualitäts-Typ, aber ich merke selber, wie immer häufiger nach „SCHNELLIGKEIT!!!“ gerufen wird, und immer seltener Qualität gefragt ist.
Da wird wohl auch bei mir ein Gesinnungswandel eintreten müssen.
Andreas meint
„Da setzt man sich hin und produziert mit viel Aufwand einen Film und bekommt zwar Lob; viele Zuschauer kommen aber bei so einer Quick-und-Dirty-Aktion. Verrückt, dieses Internet.“
Wobei das kein wirkliches Internet-Phänomen ist:
Vergleiche:
Fernsehen: RTL vs. ARTE
Radio: Hitradio Irgendwas vs. Deuschlandradio Kultur
Malte meint
andreas: nun ja, das ist nicht wirklich vergleichbar. rtl-produktionen sind ja nicht unaufwändiger und hinsichtlich der produktionsqualität schlechter als das programm von arte im gegenteil. worauf es ankommt, ist der grad der trivialität und dann letztendlich doch wieder: der content.
daniel meint
@Julia: Gute Anregung! Bei diesem Video hätte ich an dem Montag definitiv nicht die Zeit gehabt, um das Video zu bearbeiten. Aber wohl einige Tage später. Nachrichten-Geschichten werden ja auch laufend aktualisiert – warum sollte das mit Videos nicht auch möglich sein oder von den Leuten geschätzt werden. Entsprechende Hinweise, dass ein neues Video in Arbeit ist, können ja via den YouTube-Headlines eingeblendet werden. Das ist ne gute Idee …
@Andreas: Da hast du recht – das ist natürlich kein Internet-Phänomen. Wobei: RTL und die Hitradios machen ja keine Dirty-Produkte – das ist hochprofessionelle Arbeit. Da steckt so viel Strategie oder Arbeit hinter – das vermutet man gar nicht. Schon gar nicht bei der Qualität einiger Privaten ;o)
@Malte: Yeah! That’s so true …