Fernsehen ist, wenn du mit der Regisseurin und ihrem Kollegen den Ablauf besprichst, hinter dir der Tonmann steht und ein Gerät am Gürtel befestigt, auf dem Ohr sich die Kollegin aus der Tonregie meldet, damit du von deinem Notebook einen Testsound abspielst, und dir nebenbei der Richard noch seine neuste App zeigen will.
Es waren vier sehr lehrreiche Wochen beim Rundshow-Projekt beim Bayerischen Fernsehen — und die Zeit verging wie nix. Wir haben auf allen Ebenen gelernt. Ich habe zu ersten Mal im TV moderiert, erfahren wie es ist mal auf der anderen Seite der Kritiken nach einer Premiere zu stehen, welche Wirkungen das Rundshow-Projekt vor allem auch intern auf den BR hat, und wie wertvoll das Feedback auf Twitter ist. Lässt man sich darauf ein, ist die Lernkurve bei einem Projekt unheimlich steil. Die Leute schreiben ohne Agenda und geben einfach ihre Meinung wieder. Filtert man Extremmeinungen aus, bleibt ein Grundtenor übrig, den man sich unbedingt zu Herzen nehmen sollte. Meistens deckten sich diese Impulse mit unserem Bauchgefühl. In den ersten Tagen haben wir uns jeden Tag zwei oder drei Hausaufgaben formuliert, die wir am Abend besser machen möchten. Auf Twitter sind unsere Veränderungen auch direkt wahrgenommen worden. Jörg Wagner vom Radio Eins Medienmagazin hat die Veränderungen von Sendung zu Sendung dokumentiert – sehr aufwendig und sehr interessant!
Als Bonus habe ich bei diesem Projekt noch gratis meinen ersten Troll „dazu“ bekommen. Auch mal eine Erfahrung.
Spannend fand ich: Viele haben sich über Dinge beschwert, mit denen wir gar nicht gerechnet haben (andere Sachen, mit denen wir rechneten, wurden gar nicht beachtet). Zum Beispiel was die Skype- und Hangout-Qualität angeht (Focus Online: Wenn das Netz drei Mal fiept). Die Zuschauer erwarten Fernsehqualität auf ihren Bildschirmen. Da kommen Skype und Hangout kaum mit. Was auf dem Computerbildschirm bekannt ist und akzeptiert wird, kommt im TV nicht direkt an. Hier setzte aber beim treuen Zuschauer ein Gewöhnungseffekt ein: Je vertrauter das Bild- und Audiosignal aus dem Netz dem TV-Zuschauer wird, desto weniger Kritik und am Ende wurde der technische Weg sogar ganz vergessen und die Inhalte standen im Vordergrund. Auch aus diesem Grund ist die Rundshow wichtig: Um neue Techniken auf dem Bildschirm einzuführen.
Vom Format bleibt bei mir hängen, dass oft die Gespräche nach der TV-Sendung im Webstream am Interessantesten waren (spricht für eine Ausdehnung auf 45 Minuten), da wir dann in die Tiefe gehen konnten. Überrascht war ich, wie viele direkte Fragen oder Kommentare zum Thema über die App kamen. Auf meinen Bildschirm hatte ich fast mehr nutzbare App-Einsendungen als Tweets. Die Relevanz einer eigenen App hatte ich unterschätzt. Vielleicht entspricht dies stärker dem Nutzungsverhalten einiger Zuschauer. Sie schauen einfach fern und sind froh, wenn sie eine simple App haben, über die sie sich beteiligen können. Nicht alle haben Lust ein Tablet oder Notebook auf dem Schoß zu haben oder sich groß in ein soziales Netzwerk einzuloggen.
Andere haben sich gefragt, was denn „innovativ“ oder „bahnbrechend“ an dem Format sei. Der Witz ist: Wir haben als Team nie behauptet so sein zu wollen. Hier wurden ganz einfach irgendwelche Erwartungen in uns herein projiziert, die dann natürlich nicht erfüllt wurden. Wir haben verschiedene Crossmedia-Elemente ausprobiert und zeigen wollen, dass man auch mit dem Netz und nicht nur im Stuhlkreis talken, dass man interne Abläufe anders gestalten kann und das so ein Experiment frischen Wind bringt, der allen gut tut.
Ãœberraschend fand ich: Spiegel Online („Wir twittern im Bademantel“) und Süddeutsche.de („Ein gewagtes Experiment für einen öffentlich-rechtlichen Sender wie den BR. Aber das Konzept der beiden Blogger ist vielversprechend.“) haben auf ihre Art sehr positiv über unser Projekt berichtet. Das hätte ich überhaupt nicht erwartet. Einen Veriss gab es nur bei Heise (Gutjahr tappt in die Gotschalk-Falle) und Meedia (Rundshow: Das verpatzte Social-TV Debüt). Letzteres hatte ich erwartet. Man könnte Meedia unterstellen den Text oder zumindest die Haltung schon vor der Premiere formuliert zu haben.
Für mich als Radiomann war das ein spannender Ausflug und ich bin Richard dankbar, dass er mich dazu geholt hat. Ein bisschen freue ich mich jetzt aber auch wieder auf mein kuscheliges Radiostudio.
Für die tolle Rundshow-Crew geht es jetzt noch zwei Wochen weiter. Endlich kann ich die Sendung auch einmal im TV wirken lassen und dabei den Secondscreen ausprobieren.
Wie geht es danach weiter? Ich denke beim BR wird an den unterschiedlichsten Ecken eine gute Portion zusätzliche Motivation hängen bleiben und bestimmt wird das eine oder andere technische Element in einigen Sendungen auftauchen. Vor zwei Wochen hätte ich auch nicht gedacht, dass ich sogar das Potential einer täglichen Rundshow sehe. Jeweils rund um die Wochenenden haben Zuschauer angemerkt, dass die Rundshow schon zu deren Tagesablauf gehört und sie den sendefreien Tag nicht so gut finden. Ich kann mir vorstellen, dass ein abgespecktes täglich Format gut funktionieren kann. Das kann ein festes Ritual für eine treue Zuschauergemeinde werden. Wenn die Zuschauer einschalten wollen, um zu erfahren, wie die Rundshow-Gäste das Thema des Tages diskutieren, dann haben wir gewonnen.
An dieser Stelle möchte ich mich an die vielen lieben Reaktionen bei Twitter, G+ und Facebook bedanken, als ich mich verabschiedet habe. Mit so viel Zuspruch hätte ich nicht gerechnet — Danke 🙂
Ein paar Videos
Das ist die Zusammenfassung der Sendung vom letzten Donnerstag, als wir über den Eurovision Song Contest.
Ich bin ja auch immer gerne mit dem Richard Aufzug gefahren.
Mein Lieblingstrailer. Mehr Videos von den Beiträgen oder Sendungszusammenfassungen gibt es im YouTube-Channel. Die kompletten Sendungen (inkl. Web-Vor-und-Nachschau) gibt es auch als Podcast (hier der direkte RSS-Feed).
Ein paar Fotos
Die Fotos stammen von Mathias Vietmeier, der uns bei einer Probe besuchte. Mehr Fotos von seinem Besuch gibt es auf seiner Facebook-Seite.
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