Unter meinen Twitter-Followern sind viele, wirklich sehr viele, Fans von Justin Bieber. Jetzt ist eine gute Gelegenheit, euch von dieser Geschichte zu erzählen.
Heute vor 15 Jahren hat Twitter-Gründer Jack Dorsey seinen ersten Tweet geschrieben. Jetzt könnten wir intensiv über Segen, Fluch und Einfluss auf die digitale Kommunikation oder sogar die Gesellschaft sprechen. Doch darüber können wir schon viel lesen. Am Ende ist Twitter nur so gut oder schlecht, wie die Gesellschaft, die den Dienst benutzt. Deswegen blogge ich heute lieber ein paar persönliche Gedanken.
Wenn ich in Social-Media-Workshops über Twitter spreche, merke ich, wie emotional ich an den Dienst gebunden bin. Es ist trotz all der Schattenseiten immer noch mein Lieblingsdienst. Vor ein paar Tagen hatte ich mein 14-jähriges Twitter-Jubiläum. Das geballte Treffen von Internet-Nerds auf der South-by-Southwest Interactive in Austin (Texas) hatte den Dienst damals schlagartig bekannt gemacht. If you make it there, you can make it everywhere. In den folgenden Jahren versuchten viele Start-ups in Austin den Erfolg zu wiederholen und platzierten rund um die SXSW ihre neusten Ideen. Redakteur*innen brieften ihre Reporter*innen, doch einen Bericht mitzubringen, was denn das neue Twitter werden würde. Solch einen Erfolg hat es aber nicht mehr gegeben. Mein erster Tweet lautete übrigens „Münster entrümpeln“. Es hat aber ein paar Monate gebraucht, bis ich nicht nur eine Verwendung, sondern auch eine Leidenschaft für Twitter entwickelte. Zugeben: Je länger man Twitter nutzt, desto schneller gerät die Faszination in Vergessenheit. Das ist bedauerlich. Darüber habe ich mir in den letzten Monaten viele Gedanken gemacht und auch eine Idee entwickelt. Doch zurück zu den Bieber-Fans.
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Mit Twitter verbindet mich auch einer meinen intensivsten Reportereinsätze. Im Dezember 2010 verunglückte Samuel Koch als Kandidat in „Wetten, dass…?“. Zum ersten Mal in der Geschichte musste die Livesendung abgebrochen werden. Ein Millionenpublikum fieberte mit: Wie geht es dem Kandidaten? Ich selbst war als Radioreporter hinter den Kulissen unterwegs. Antenne Düsseldorf war Partner der Stadtwette und so gab es einiges zu berichten. Ich erinnere mich noch genau an den Moment des Unfalls. An das Geräusch des Aufknalls. An die Totenstille, die folgte. Niemand wusste, wie es jetzt weitergehen sollte. Alle warteten auf Informationen, wie es dem Kandidaten ging.
Ich hatte auf meinem Smartphone meine Twitter-App installiert und mir die Tweets durchgelesen. Dort tummelten sich viele Fragen und Gerüchte. Das verstärkte sich, als das ZDF die Sendung abbrach. Erst später im Heute Journal gab es eine Information für die Zuschauer*innen. Die zum Teil falschen Informationen und Gerüchte störten mich extrem. Es schien immer schlimmer zu werden. Also habe ich angefangen aus der Halle zu twittern. Ich sollte an dem Abend sehr viel über die Macht von Twitter lernen – und über das Bedürfnis an Echtzeitinformationen der Nutzerschaft.
An dem Abend hätte auch Justin Bieber auftreten sollen. Als die Schlagzeile die Runde machte, dass eine TV-Sendung nach dem Unfall eines jungen Mannes abgebrochen werden musste, hyperventilierten die Bieber-Fans. War ihr Idol in Lebensgefahr? Ich habe versucht mit Fakten aus der Halle Ruhe in die aufgeregte Situation zu bringen. Andere Journalist*innen haben meine Tweets geteilt und darauf verwiesen, dass sie mich kennen und ich tatsächlich in der Halle sei. Innerhalb von kürzester Zeit hatte ich ein paar Hundert zusätzliche Follower*innen. Darunter auch viele junge Bieber-Fans, die dankbar für die Aufklärung waren. Kurz darauf meldeten sich viele andere Medien bei mir. Sie baten um Berichte für ihre Radiosendungen, ihre Zeitung oder ihr Online-Portal.
Was ich an dem Abend gelernt habe, hatte ich kurz darauf in einer ZDF-Videoserie berichtet, als es um einen Tweet und seine Geschichte ging:
Ich hatte ja vermutet, dass mir die Bieber-Fans auch wieder entfolgen. Doch wir blieben verbunden. Einigen folgte ich auch zurück. Es hat sich mir eine ganz andere Perspektive eröffnet, wie außerhalb der Journo-Bubble Twitter genutzt wird.
Am Ende hatte ich an dem Abend versucht die Lücke aufzufüllen, die das ZDF nicht bediente. Das will ich nicht als Vorwurf verstanden wissen. Bis dahin gab es nicht einmal ein Konzept für den Abbruch von „Wetten, dass..?“. Solch ein Ereignis schien undenkbar. Die Medien-Branche lernte aber, dass man die Kommunikation der Nutzerschaft nicht sich selbst überlassen kann.
Wenn ich heute Berichte über Samuel Koch lese, denke ich immer an diesen Unfall zurück und bin froh, dass er seinen Weg gefunden hat, mit den Auswirkungen umzugehen und dass er auch neue Träume anstrebte, wie die Schauspielerei.
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In den Anfangsjahren von Twitter waren Blogs als die Klowände des Internets verschrien. Twitter galt als die Küchenparty des Netzes. Niemand würde Twitter heute als Küchenparty bezeichnen. Nicht selten habe ich in den letzten Monaten aus dem Kollegenkreis gehört, sie würden Twitter privat gar nicht mehr gerne nutzen – immer die gleichen Stimmen, immer die gleichen Statements, kaum echte Debatten, viele wollen nur ihre Haltung durchdrücken. Im letzten Jahr hatte ich ein kleines Experiment durchgeführt und bin unglaublich vielen Personen zurückgefolgt. Ich wollte meine Filterblase erweitern. Doch statt Inspiration gab es mehr Frust in meiner Timeline. Das Experiment war gescheitert.
Jetzt denke ich: Ein bisschen mehr Küchenparty-Einstellung würde uns gut tun. Niemand hört auf einer Party gerne der Person zu, die nur von sich und immer nur das Gleiche erzählt. Richtig gut wird es dann, wenn die Gastgeber*innen unterschiedliche Leute einladen, sich über die Gästeliste Gedanken machen. So entstehen Gespräche zu unerwarteten Themen, die inspirieren und vielleicht auch sogar zu neuen Ideen oder Projekten führen. Ohne guten Gastgeber, gibt es keine gute Party.
Mein Twitter-Feed ist meine Party. Aber dann muss ich auch Gastgeber sein. Ich muss mir mehr Gedanken machen, wem ich folge und wem nicht. Ich sollte nicht nur selber senden, sondern auch empfangen. Vielleicht auch mal Leute verknüpfen und selbst Themen mit in den Raum stellen. Das habe ich in den vergangenen Wochen schon ausprobiert und kann sagen: So schlecht ist das doch alles gar nicht mit diesem Twitter. Vielleicht sollte ich auch mal wieder etwas Bieber-Content twittern.
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