Lasst uns einmal über E-Mails reden. Diese verdammten Dinger. Wenn ich mal eine indiskrete Frage stellen kann: Beherrschst du deine Mails, oder beherrschen sie dich? Wie viele Stunden deines Arbeitstages werden von eintreffenden E-Mails „ferngesteuert“? Zu viele? Auch wenn die E-Mail schon alt ist, haben wir noch keinen perfekten Umgang mit ihr gelernt.
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Mit Schrecken habe ich gerade bei einer Archivsuche in meinem Blog festgestellt, dass ich noch gar nichts über „Inbox Zero“ geschrieben habe. Diese Ansage ist seit Jahren ein fester Bestandteil meiner Arbeit. Zugegeben: Es gibt Wochen da gelingt es mir besser, und es gibt auch Wochen, da gelingt es mir weniger gut. Es geht auch nicht immer darum, tatsächlich ständig eine leere Inbox zu haben. Das Prinzip hinter „Inbox Zero“ ist wichtig.
Ich beobachte gerne das E-Mail-Verhalten meiner Mitmenschen. Bei einigen bin ich beeindruckt, wie sie trotz hohem Mailaufkommen immer den Überblick haben und schnell antworten. Bei anderen bin ich verwundert, wie sie sich überhaupt in ihren Aufgaben zurecht finden. Weil sie sich zu perfekt organisieren, oder weil sie die E-Mail-Inbox einfach voll laufen lassen und dann rausfischen, woran sie sich erinnern.
Einige haben komplexe Ordnerstrukturen, in denen sie ihre E-Mails einsortieren. Diese Ordnerstrukturen sind für mich überholt — schon seit der Einführung von GMAIL vor mehr als zehn Jahren. Die Zeit die ich benötige, um mir zu überlegen ob ich die E-Mail in den Ordner von Person X oder doch konkret zu Projekt Y oder zum Ordner mit E-Mails die ich am Ort Z erledigen möchte einsortiere, ist mittlerweile Verschwendung. Ich habe einen Archiv-Ordner in dem ich alle E-Mails packe und mit der bequemen Suche habe ich direkten Zugriff auf die alten Mails. Ich verplempere auch keine Zeit mir zu überlegen, ob diese eine E-Mail, die ich jetzt gerade benötige, im Ordner von Person X, Projekt Y oder Ort Z abgespeichert wurde.
Andere lassen ihre Inboxen voll laufen. Sie fischen sich wichtige E-Mails raus, aber alles bleibt in der Inbox. Der Zähler ist im vierstelligen Bereich. Viele Mails sind fett markiert, weil ungelesen. Einige haben ein rotes Fähnchen, weil sie irgendwie wichtig sind. Bei einigen ist es nicht ganz so dramatisch, aber was fast alle zur Gewohnheit haben: Solange eine E-Mail nicht wirklich erledigt ist, bleibt sie in der Inbox. Alles was irgendwie noch beantwortet werden will, oder mit einer noch zu erledigenden Aufgabe verbunden ist, bleibt in der Inbox. Und genau das ist das Problem:
Wir belasten damit unsere Psyche. David Allen beschreibt das mit seiner Produktivitätsmethode Getting Things Done ganz treffend: Wenn nur wenige E-Mails mit Aufgaben als Platzhalter in der Inbox sind, haben wir noch einen Überblick. Aber spätestens am nächsten Tag sind schon viele neue E-Mails eingetroffen und wir merken uns neue Aufgaben, die zu erledigen sind. Dazu noch die ganzen Aufgaben, die weiter unten in der Inbox warten. Irgendwann kann man sich diese nicht mehr wirklich merken und hat dann bei steigendem Mail-Aufkommen ein bedrückendes und bekanntes Gefühl: Da war doch noch irgendwas, was ich ganz dringend erledigen wollte. Je mehr Mails, desto stärker die Last.
Die Inbox ist also ein denkbar schlechter Ort, um E-Mails aufzubewahren, mit denen noch Aufgaben verbunden sind. Klarheit und Ãœbersicht über die anstehenden Aufgaben hat man dann —und deswegen ist mir das System nach Jahren auch noch wichtig—, wenn man die Inbox tatsächlich auch als Inbox benutzt. Als Posteingang. Ein Posteingang, den man möglichst häufig durcharbeitet und den Klumpen Mails trennt: In Dinge die gelöscht oder archiviert werden können, die erledigt werden wollen – jetzt oder später, von mir selbst oder von anderen. Willkommen in der Welt von Inbox Zero.
Die Idee hinter INBOX ZERO
Über David Allens Getting Things Done habt ihr bestimmt schon einmal gehört. Seit vielen Jahren geistert diese Methode durch das Netz. Ich versuche sie so gut es geht umzusetzen, habe sie aber auch nach einigen Jahren noch nicht komplett implementiert. Einigen ist GTD auch zu komplex. Aber wenn man die Idee dahinter nur für seine E-Mails benutzt, dann steigert das nicht nur die eigene Produktivität, sondern auch das eigene Wohlbefinden.
Das hat sich auch der amerikanische Autor, Sprecher und Podcaster Merlin Mann gedacht und aus GTD ein vereinfachtes System für E-Mails entwickelt, welches er Inbox Zero nennt.
- Delete: Archiviere oder lösche alle Mails, die nicht mit einer Handlung verbunden sind.
- Delegate: Musst du die Aufgabe wirklich selber erledigen? Wenn es andere übernehmen können, kläre es gleich ab. Viele nutzen einen „Warten auf“-Ordner, um später zu schauen, ob die Aufgabe auch erledigt wurde.
- Respond: Wenn die Antwort weniger als zwei Minuten dauert, antworte direkt.
- Do: Wenn die Aufgabe, die mit der Mail verbunden ist, weniger als zwei Minuten dauert, erledige sie direkt.
- Defer: Wenn die Antwort oder die Aufgabe länger als zwei Minuten dauern, parke die E-Mail im „ToDo“-Ordner. Du könntest den Absender auch informieren, dass du erst in Kürze dich um die E-Mail kümmern wirst. Das vermeidet „Ist die E-Mail schon angekommen“-Anrufe.
Ganz gut ist „Inbox Zero“ auch im Blog von Thomas Mangold erklärt — zwar in dem typischen Tschakka-Tschakka-Deutsch eines Motivations-Blogs, aber das passt schon! Thomas hat das System noch etwas aufgebohrt und um eigene praktische Regeln ergänzt.
Der Hintergrund von INBOX ZERO
Merlin Mann hat das Prinzip aus der „Getting Things Done“-Methode abgeleitet und rund um seine Arbeit für sein Produktivitätsblog 43Folder entwickelt. Dort gibt es auch eine Sammelstelle für ganz viele Texte, die ganz viel Hintergrund geben. Populär wurde die Methode nach einem Vortrag von Merlin bei Google. Er hatte den Vortrag bereits 2006 gehalten. Hier ist das „legendäre“ Video – hier gibt es noch einmal die Slides.
Ãœber die Jahre gibt es viele Dienste, die einem dabei unterstützen die eigene Inbox effektiver durchzuarbeiten. Auch Google hat die App „Inbox“ entwickelt, mit der Nutzer dem Inbox-Zero-Ideal näher kommen können. Klar, diese Dienste können alle praktisch sein, aber können den Nutzer vor einem nicht bewahren: Vor dem Treffen von Entscheidungen. Und damit sind wir schon beim Geheimnis von Inbox Zero.
Das Geheimnis von INBOX ZERO
Warum lassen wir eigentlich viele E-Mails in unserer Inbox? Aus meiner Erfahrung hat das einen Grund: Statt zu entscheiden, was mit der E-Mail zu tun ist, lassen wir sie lieber liegen und beschäftigen und lieber mit der nächsten E-Mail – was steht drin? Von wem ist die? Und so weiter … und da wir viele E-Mails bekommen geht es immer zur nächsten E-Mail bis wir irgendwie abgelenkt werden. Óltere Mails greifen wir erst auf, wenn uns einfällt, dass wir dort noch dringend etwas erledigen wollen. Es soll ja nichts anbrennen.
Was ich auch gelernt habe: Leute, die gut Entscheidungen treffen können, haben ihre Inbox im Griff. Wenn man sich ständig aufraffen muss und erst noch die Entscheidung treffen muss, sich jetzt doch mal mit seinen E-Mails auseinanderzusetzen, dann kostet das Kraft. Wer aber seine Mails nach einem festen Schema bearbeitet, kann ein Ritual aufbauen. Ist dieses Ritual zu einer Routine geworden, muss das Gehirn nicht mehr die Entscheidung zum Mails bearbeiten treffen, sondern bearbeitet einfach die E-Mails und hat mehr Kapazität für die anstehenden Aufgaben.
Das ist wie mit dem Autofahren – ihr erinnert euch: Wer frisch seinen Führerschein in die Hand gedrückt bekam, hat sich noch über jeden Schritt während der Fahrt viele Gedanken machen müssen. Irgendwann kam aber der Punkt, indem man nicht mehr aktiv über Schalten, Kuppeln und Co. nachdachte. Seit dem fahren wir mit links. Wie anstrengend waren doch die ersten Fahrten, die man heute anscheinend im Unterbewusstsein erledigt und nebenbei können wir anspruchsvolle Unterhaltungen führen. Zugegeben: Nur beim Einparken brauche ich nach wie vor volle Konzentration.
Inbox Zero ist für mich also eine Methode, um schnell mit vielen Informationen hantieren zu können. Sie hat sich über die Jahre auch nicht abgenutzt. Im Gegenteil: Ich schätze sie immer stärker. Sie gibt mir Freiheit, wirklich wichtige Aufgaben zu erledigen. Und es fühlt sich echt gut an, wenn man sich abends hinsetzt und sagt: Heute haben mich mal nicht die E-Mails meine Arbeit bestimmt, sondern ich die E-Mails.
Und? Wie sieht es bei euch in der Inbox aus?
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