Ja, das Comeback der Blogs ist da – wir sind mitten drin. Zeit, das wir uns die nächste Frage stellen: Was machen wir draus?
Warum mich das Thema fasziniert: Als 2022 die Blog-Nutzung von 5 auf 10 Prozent anstieg (Deutschsprachige, die mindestens einmal wöchentlich ein Blog nutzen) und vor ein paar Monaten die Nutzung für 2023 auf dem Niveau bestätigt wurde, in der Zwischenzeit viele Texte das Comeback der Blogs erklärten, das Thema auch in einigen Trend-Vorhersage zum Jahreswechsel auftauchte, und dann auch noch mit gängigen Trend-Modellen (alle 20 Jahre wiederholt sich ein Trend, es gibt ein Comeback) erklärt werden konnte, dachte ich: Okay, das Comeback der Blogs ist da. Aber was machen wir draus? Wieder ein paar mehr Artikel im eigenen Blog veröffentlichen? Das kann doch nicht alles sein.
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Stand der Dinge: Nach Youtube-Videos sind Blogs die größten Erklärer im Netz. Immer wenn Menschen etwas lernen oder wissen wollen, suchen sie das passende Youtube-Video raus oder landen via Google auf einen Serviceartikel in einem der unzähligen Produkte-Blogs. Wer was mit Internet macht, bietet für seine Produkte oder Services ein Blog an, um Thema, Produkt und Bestcases, sowie vor allem Vergleich-Tests mit Konkurrenz-Angeboten zu posten (wer da wohl gewinnt).
Meine Beobachtung: Wie oft wir Blogs tatsächlich nutzen, ist uns gar nicht bewusst. In Gedanken hängen wir an den Zeiten der guten alten Tagebücher, Fach- & Watchblogs. Viele Lieblingsblogs werden nicht mehr gepflegt. Mit WordPress’ Weltherrschaft stieg die Komplexität des Bloggens, soziale Netzwerke liefen in Sachen Postings und Interaktionen Blogs den Rang ab. Am Ende sind viele Blogs zu Artikel-Ablagen geworden
Was sich ändert: Aber da sind dann diese For-You-Feeds à la TikTok die bei Facebook, Instagram & Co. immer wichtiger werden und Follower eines Accounts somit massiv an Bedeutung verlieren. Dazu äußern viele den Frust über häufige Algorithmen-Veränderungen und dass die eigenen Inhalte schnell verpuffen.
Gut, dass die Blogs ihr Comeback haben. Die können wir nutzen, um auf die aktuellen Entwicklungen im Medienwandel zu reagieren.
7 Stellschrauben die unsere Blogs wieder großartig machen
- Wie ein Lieblings-Podcast ohne Tonspur. Ist dein Blog einfach ein Ort zum Schreiben? Wie siehst du es? Das macht einen großen Unterschied. Was macht großartige Podcasts aus? Sie haben prägende Gastgeber, die ihre Hörerschaft mit einbeziehen und diese hören jede Episode – die Mediennutzung ist ritualisiert. All das hat auch die Blogs der ersten Generation ausgemacht. Die Social-Komponenten sind aber verfolgen. Wenn wir unsere Blogs wie einen Lieblingspodcasts ohne Tonspur produzieren, können wir das wieder ändern.
- Mit der richtigen Frage wieder regelmäßig bloggen. Sich „was habe ich interessantes für meine Leser“ statt „Ich müsste mal wieder einen Artikel verfassen – nur wozu?“ zu fragen, ist mein super Trick, um wieder regelmässig zu veröffentlichen. Der Auftrag „Artikel schreiben“ klingt nach viel Arbeit. Für Aha-Momente bei der Leserschaft zu sorgen, ist Motivation.
- Leser*innen sichtbar machen. Nicht vergessen: Blogs waren die erste Form von Social-Media. Austausch und Interaktion müssen die meisten Blogs wieder lernen. Vielleicht auch neue Formate ausprobieren. Für Blogs ist mehr drin, als ein aktiver Kommentarbereich und das „Neueste Kommentare“-Widget in der Sidebar. Wenn Leser*innen merken, dass sie nicht alleine stöbern (wie in einer Bibliothek, jeder für sich), sondern gemeinsam mit vielen anderen lesen (wie ein Radioprogramm oder Podcast hören), dann sorgen Blogs für ein Lesegefühl das auf eine sehr loyale Audience einzahlt, wie es andere Inhalte-Seiten nicht im Ansatz schaffen.
- Die eigene Rolle neu definieren. Wenn wir schon hinterfragen, wie wir unser Blog sehen, sollten wir auch uns selbst hinterfragen. Bin ich ein Blog-Autor oder ein Blog-Gastgeber? Das macht einen großen Unterschied. Statt das Buch zu schreiben, auf das niemand wartet, drehen wir unsere Perspektive um 180 Grad. Wir treffen unsere Entscheidungen mit den Geschmäckern und Vorlieben unser Gäste im Kopf, damit die sich wohlfühlen und eine gute Zeit haben. Gute digitale Formate mit einer hohen Relevanz für ihre User informieren, unterhalten und bieten Companionship.
- Themen anders erzählen. Weg von der Artikel-Denke. Einleitung, Hauptteil, Schluß. Ja nicht vergessen, die passende Kategorie zur Ablage auszusuchen. Es geht besser. Wir können direkt in ein Thema rein. Oder einen Link zu einem früheren Beitrag setzen und anschließen. Oder einfach nur ein Link zu einem Artikel, Podcast oder Video veröffentlichen und einordnen. Viele Themen leben für mehrere Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre. Wir können sie mit vielen unterschiedlichen Darstellungsformen, passend zur jeweiligen Entwicklung, begleiten. Tags/Schlagworte bündeln alles und es entsteht von alleine eine Chronologie.
- Es darf auch kurz sein. Das klang eben schon durch, aber ich will es noch mal wiederholen weil es eine hohe Wirkung hat. “Ich bin wegen der kurzen Texte hier”, dachte ich kürzlich, als ich reflektierte, wie ich meine Lieblingsblogs nutze. Längere Texte lese ich selten direkt. Mich ziehen die kurzen Postings rein. Tja, und im eigenen Blog fällt die Kürze schwer. Ein ganzer Absatz mit einer Beschreibung, den ich auch einfach durch einen Link auf einen anderen Beitrag hätte ersetzen könnte. Oder durch ein Zitat. Ich muss nicht immer alles einführen, regelmässige Leser*innen sind im Thema und neue erschließen sich das nach wenigen Besuchen. Nebenbei werden sie in der Zwischenzeit vielleicht sogar als regelmässige Leser*innen überzeugt.
- Sich vernetzen. Auch Blogs sollten sich wieder stärker vernetzen. Substack und Beehiiv katalysieren Wachstum durch Vernetzung-Galone. Das hat die alte Blogosphäre auch ausgemacht. Das war die Grundlage für Discovery und Audience-Growth. Ich wünsche mir zwar nicht Ping- und Trackbacks zurück, aber eine modernere Form der guten alten Blogroll-Linkliste sollte mindestens dazu gehören. Urblogger und Podcast-Erfinder Dave Winer experimentiert gerade mit neuen Blogroll-Features und träumt sogar vom Entstehen eines sozialen Netzwerk der neuen Art.
Es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis es neue Ideen oder Features rund um Leser-Interaktionen oder die Blog-Vernetzung gibt. Das ist noch nicht zu Ende gedacht. 20 Jahre nach dem Entstehen der Blogs haben wir auch ganz andere Rahmenbedingungen, die neues ermöglichen.
7 Vorteile wieder mehr bloggiger zu sein
- Surfgewohnheiten bedienen: Traffic durch Suchmaschinen und soziale Netzwerke verlieren ihren Status – da wird direkter Traffic wichtiger. Das Gute: Lebhafte Blogs zahlen auf die Surfgewohnheiten vieler User ein. Neben der Kommunikation in privaten Gruppen und Berieselung durch For-You-Feeds haben digitale Formate mit einer Relevanz die Chance einen Platz in der regelmässigen Mediennutzung zu ergattern. Regelmässiges Posten (“Was gibt es wohl neues?”), ein Gastgeber und Interaktion (Companionship) und hier und da etwas überraschendes (Unterhaltung) tragen dazu bei.
- Lieblings-Newsletter, Lieblings-Podcast … erst empfahlen wir uns gegenseitig Netflix-Serien, dann Podcasts und inzwischen auch Newsletter. Lebhafte Blogs können zu diesem exklusiven Club des Mouth-to-Mouth-Marketings dazugehören. Wetten wir empfehlen uns bald gegenseitig häufiger Blogs?
- Die Community — Followerschaften spielen bei Instagram und Facebook künftig immer weniger eine Rolle, die Inhalte werden von Content-Algorithmen ausgewählt. Mit unseren Social-Media-Kanälen erreichen wir zwar viele neue User, aber nicht mehr unsere Audience. Das Community-Building findet auf eigenen Kanälen statt. Neben Newsletter und Podcasts bieten sich Blogs an. Viele Influencer machen das schon vor.
- Unerwartetes, aber gutes entsteht. Mit dieser Erfahrung stehe ich nicht alleine da: Man kann zwar nicht planen, was sich aus dem Blog und die damit verbundene Öffentlichkeit ergibt, aber irgendwas passiert immer. Die besten Projekte oder beruflichen Möglichkeiten haben sich aus den Anfangsjahren meines Blogs ergeben.
- Vom Archiv profitieren. In den letzten Wochen ist mir das immer wieder aufgefallen. Auf so manche alte Beiträge kommen nach wie vor viele Besucher. Die Arbeit, die ich in einen Blogbeitrag stecke zahlt sich so viel mehr aus, als die für ein Social-Media-Posting. Außerdem macht es spaß, im eigenen Archiv zu stöbern.
- Unabhängig sein. Plattformen zu bespielen bedeutet auch immer Abhängigkeit – von den Regeln des Betreibers. Dem waren wir uns bei sozialen Netzwerken immer bewusst, aber erst in letzter Zeit bekommen immer mehr diese Abhängigkeit zu spüren. Einer wichtigsten Blog-Vorteile: Kein Algorithmus entscheidet, ob ein Beitrag überhaupt bei den Followern ankommt. Wie jede Newsletter-Ausgabe in der Inbox oder Podcast-Episode im Podcatcher landet, jeder Blogbeitrag erreicht die Leser. Dann können sie selbst entscheiden, ob sie lesen wollen oder nicht.
- Auf das neue Social Web vorbereitet sein. Die Zukunft von Social Media ist dezentral. Threads schließt sich dem Fediversum an und Dienste wie Mastodon kommen in den Mainstream. Das Tolle: Blogs können selbst zur Instanz im Fediversum werden. Ganz neue Verbreitungs- und Kommunikationswege entstehen. Und als Instanz im Fediversum spielt man auf Augenhöhe mit Mastodon oder Threads. Abhängigkeiten spielen dann keine Rolle mehr. Ghost bereitet für seine Blogs eine Anbindung an das Fediversum vor. Für WordPress gibt es bereits eine (die allerdings noch nicht perfekt funktioniert). Auch Flipboard schließt sich dem Fediversum an. Unsere Blogs werden dann zum Hub unserer Inhalte – abonnier- und konsumierbar über das dezentrale Social Web. Da entsteht was großes neues.
In meinem Blog findet ihr die Reihe “Unser Blog soll schöner werden”. In den bisher sechs Teilen besuche ich Blog-Urgesteine, aber auch ganz neue Webprojekte, um mir Details anzuschauen, die Blogs ausmachen.
Der Text erschien zu erst in meinem wöchentlichen Newsletter. Sonntags schicke ich einen Gedanken, ein Update und drei Links zum Inspirieren. Hier kannst du dich für die nächste Ausgabe anmelden.
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