Wer weiß, wo es langgeht? Radiomacher diskutieren ihre Strategien im Internet
Reine Internetradios brechen in die Phalanx der etablierten Sender und tauchen in den Rankings der Internetradio-Portale auf den vordersten Plätzen auf. Was können die guten, alten UKW-Sender im Netz von den jungen, wilden lernen? Wie können die Internetradios vom Knowhow der UKW Sender profitieren? Mit: Egbert Meyer (Deutschlandradio online), Ruben Jonas Schnell (ByteFM), Marcus Richter (Radio Fritz) und Frank Brach (RMNradio) und Florian Fritsche (90elf).
- Egbert Meyer: Deutschlandradio ist klassisches Wortradio – die Anfänge waren terrestrisch, aber online wird immer wichtiger. Siehe DRadioWissen, was rein digital verfügbar ist. Und bei nur digitalen Kanälen in Deutschland ist nunmal das Internet zentral.
- Marcus Richter: Wenn wir nicht online senden würden, wären wir nicht da wo unsere Hörer sind. UKW bleibt so lange vorherrschend, bis es ordentliche Online-Empfänger in den Autos gibt. Auch gut für Hörer, die die Heimat verlassen und trotzdem noch Fritz hören können.
- Frank Brach: Wir machen online das, was das gute Personality-Radio in den 80ern ausgemacht hat. 2005 haben wir angefangen unsere Musikrichtungen auf einzelne Kanäle aufzusplitten. In den letzten 6 Monaten hatten wir ca. 19.000 App-Downloads.
- Florian Fritsche: Wir versuchen keine Ausschaltimpulse zu minimieren, sondern Einschaltimpulse zu geben.
- Ruben Jonas Schnell spricht von Leidenschaft und dass der Business-Plan noch besser ausgearbeitet werden muß. „Im Moment brennen die Leute auf das, was bei uns passiert und deswegen konnten wir auch hochkarätige Radiomacher dazu verpflichten bei uns zu senden.“
- Meyer: Unsere Herausforderung beim Wort-Programm liegt eher in der Aufbereitung der Inhalte – zum Nachhören und Nachlesen. Interaktivität probieren wir eher bei Projekten wie (damals) das Blogspiel, dass ja auch für den Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde.
- Fritsche: Ich mag die Ãœberschrift – alle Podien sollten künftig „wer weiß wo es lang geht“ heißen. Der Hörer kann mit uns Kontakt über alle Techniken die zur Verfügung stehen aufnehmen. Die Beiträge kann man bei uns auch nachhören. Das Wichtigste ist: My Conference. Das ist eine Software bei der man die Spiele selbst auswählen kann. Die Software entwickelt dann die eigene Konferenz. Damit setzen wir uns ganz konkret von der ARD-Ãœbertragung ab.
- Brach – seine Leute nutzen Chats, Twitter und sind sehr interaktiv.
- Schnell: Erst haben wir das Internet nur als Vertriebsweg genutzt, weil wir ja eher klassische Radiomacher sind, die senden wollen. Aber dann kam die Faszination der Schulterklopfler und Kommentare bei Facebook dazu, sodass wir das noch ausbauen wollen. Generell gibt es ein großes Musikangebot im Netz – von Last.fm bishin zu den zahlreichen Musik-Blogs. Wir wollten uns da abheben und eine Alternative zum normalen Surfverhalten unserer Hörer bieten – ZITAT: „Ich finde Radio hören einfach geil. Da ist jemand da wählt jemand etwas aus.“
- Meyer: Ich bin dankbar für den Wortbeitrag. Wir müssen als Radiomacher nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Radio hören ist ein Event.
- Richter: Die große Vorstellung von Interaktion à la „jeder macht jederzeit mit“, das ist es nicht. Besser ist es, wenn die Hörer zu jeder Zeit die Möglichkeit haben, sich zu melden. Es gibt zwei Ebenen. Einmal das direkte Feedback auf das Programm und dann die Kommentare zu/unter Beiträgen die online begleitet werden.
- Brach: Wir sind auf Reichweite und auf das Geld angewiesen, da die Streamingkosten sowie Gema und GVL richtig ins Geld gehen – auch wenn die Moderatoren bei uns noch ehrenamtlich arbeiten. Ohne Vermarkter würde das Projekt nicht funktionieren.
- Fritsche: Reichweite heißt für uns Zeit, die jemand mit der Markte umsetzt. Ich habe einen Veranstalter der an das Projekt glaubt und ich habe oft einen weißen Kittel an, weil das ein F & A-Projekt ist (Forschung- und Entwicklung). Wir wissen nicht genau wie es weiter geht – aber das weiß ja auch niemand. Wir versuchen einen 360-Grad-Ansatz zu verfolgen um überall da zu sein, wo unsere Fußball-Fans sind. Früher kamen über 90 % über die Webseite – mittlerweile sind es nur noch 30 % weil die anderen Nutzungswege zugenommen haben. Radio hat jahrelang versäumt zu entwickeln, weil damit gut Geld verdient wurde. Das wurde höchste Zeit.
- Schnell: Wir hatten Glück, dass die Presse auf uns abgefahren ist. Es gab viele Artikel und Fernsehbeiträge. Dann gab es schöne Preise und so konnten wir bei vielen Leuten präsent sein. Der Prozentsatz der Leute auf unserer Seite die uns weiterempfehlen wollen ist erfreulich hoch. Wir haben zwar keinen Fußball, aber dafür Musik. Wenn wir eine Sendung für schräge Musik haben erreichen wir über das Netz natürlich mehr, als wenn wir nur Hamburg damit per UKW beschallen würden.
- Fritsche: Unser Business-Modell. Wir zahlen Summe X an die DFL, die Produktion kostet Geld und das ganze wird über Vermarktung refinanziert. Was gut funktioniert: Pre-Roll-Spot. Wer uns einschaltet wird erst mit einem kurzen, prägnanten Spot konfrontiert. So nutzen wir die neuen Medien. Das klassische Radio kann das nicht. Wir können auf mehr Erlösmodelle zugreifen. Zum Beispiel haben wir mehr als 200.000 iPhone-App-Nutzer. Im nächsten Jahr wollen wir die schwarze Null schreiben.
- Meyer: Wir sehen, dass wir auch die Rolle der Deutschen Welle als klassisches Informationsmedium mit abnehmen. Wir haben nennenswerte Zugriffe aus dem Ausland. Das ist auch ein Lerneffek für das ganze Funkhaus.
- Richter: Es gibt natürlich Leute aus München, Wuppertal und Hamburg, die Radio Fritz hören. Aber das ist marginal – das liegt natürlich auch an unserer regionalen Ausrichtung. Attraktiv sind vielleicht die Musik und die „Zeitgeist“-Themen, aber spätestens bei den lokalen Konzerten ist das nur mäßig interessant.
- Meyer: Vor vier Jahren war ich bei einer Veranstaltung zum Podcasting. Da hieß es, dass Opas altes Dampfradio hat ausgedient. Heute hat sich doch nichts geändert. Auf der anderen Seite haben viele zum iPhone-Start gesagt, dass sich das nicht durchsetzen wird, weil das Gerät und die Tarife zu teuer sind. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sehen: Prognosen sind in diesem Bereich sehr schwer zu formulieren.
- Fritsche: So entspannt kann man das nur sehen, wenn man aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt. Aber ich hab hier auf meiner Seite auch eher viele und große Fragezeichen.
- Richter: Es gibt viele Möglichkeiten, die das Netz uns bietet – aber wir dürfen das wegen des Rundfunkänderungsstaatsvertrages nicht. Es ist wichtig, dass es einen MP3-Stream gibt, dass wir Podcasts haben – oder wenn möglich einen Stream-Loop. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder es hören kann, der es hören möchte. Inhaltlich sind das ganz andere Herausforderungen: Radio ist nicht mehr das schnellste Medium. Die Meldung über ein Erdbeben habe ich schon vorher im Netz gehört. Das Radio bekommt eine viel wichtigere Gatekeeper-Funktion. Im Tagesprogramm wird geflitert und die Inhalte haben auch eher eine Teaserfunktion auf das Netz.
- Richter: Wenn sich soziale Netzwerke tragen sollen, dann müssen 5 Prozent der Leute Inhalte bereitstellen. Das sehe ich beim Radio ähnlich.
- Frage aus dem Publikum: Spielg Regionalität in Zukunft noch eine Rolle?
- Schnell: Natürlich spielt es eine Rolle, wenn es gut gemacht ist. Der Berliner braucht eine Plattform, die ihn als Berliner anspricht. In der Zukunft gibt es nicht nur 3.000 Internet-Radios, sondern 10.000 Internet-Radios und 60 davon werden gehört. Dann existiert Interaktivität neben der Linearität.
- Richter: Es gibt Projekte die erfolgreich sind, weil sie regional sind.
- Meyer: Am Schluß zählt der Hörer und dem fühlen wir uns verpflichtet. Da hören wir natürlich genau hin, was er möchte. Was der Hörer zurzeit am Meisten möchte ist der Service-Aspekt neben dem linearen Angebot. Da haben wir unsere Hausaufgaben gemacht – gerade wenn man sieht wie lange das ZDF und das Erste gebraucht haben, bis ihre Mediatheken online waren. Die Zukunft? Mehr Komfort für den Hörer! Aber dazu brauchen wir das Internet.
Bei 1000Mikes gibt es einen Audio-Mitschnitt.
Kommentiert