Auf meiner Reise habe ich Wynwood kennengelernt. Ein aufstrebendes Viertel in Miami. Gewerbegebiete wie Wynwood gibt es viele in den USA: Abseits der Interstate gelegen, bellende Hunde auf Parkplätzen, verlassene Lagerhallen und Kneipen die längst zugemacht haben. Vor eurem geistigen Auge seht ihr bestimmt das eine oder andere Graffiti an Häuserwände geschmiert. Stimmt – Graffitis gibt es auch in Wnywood. Diese Fallen sogar, nennen wir es, komplexer aus:
Diese Lagerhalle ist nicht mal eben von einem Graffiti-Künstler getagt worden. Er hat die ganze Wand gestaltet. Ein regelrechtes Kunstwerk. Wer schon hier hingeguckt hat, wird bei der Lagerhalle nebenan noch größere Augen machen, denn die sieht wie folgt aus:
Das Motiv könnte ich mir auch auf einem großen Bild in meinem Wohnzimmer vorstellen. Aber was meint ihr, wie es wirkt, wenn es eine ganze Lagerhallenwand schmückt? Ich bin beeindruckt. Das mit Wynwood etwas anders ist, als mit anderen Vierteln, werdet ihr sehen, wenn ihr euch das dritte Lagerhaus anschaut. Auch die ist wieder ein echter Hingucker:
Was ist hier los in Wynwood? Haben sich hier einfach zufällig ein paar Künstler zusammengefunden und sich an den Lagerhäusern ausgetobt?
Seit einigen Jahren ist Wynwood die aufstrebende Kunst-Nachbarschaft in Miami. Das Viertel befindet sich im Norden des Stadtzentrums, südlich des Design Districts, östlich der Interstate I-95 und westlich des Biscayne Boulevard. Auf unserem Weg nach Wynwood wußte ich, dass wir uns eine Galerie anschauen werden. Dass das ganze Viertel die Galerie ist, hätte ich nicht geahnt. Man geht nicht durch eine Halle und schaut auf die Wände: Man fährt durch die Straßen — und schaut auf die Wände. Ich bin beeindruckt.
Dahinter steckt dieser Mann: Tony Goldman.
Tony Goldman hat in seiner Karriere als Immobilienmakler ein feines Händchen für Viertelentwicklung bewiesen. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass aus dem ehemaligen armen Künstlerviertel SoHo in Manhattan (New York) ein angesagtes und überbezahltes Wohn- und vor allem Shoppingviertel geworden ist. Keine große Marke der Welt verzichtet auf eine Niederlassung in SoHo. Was ich an diesem Beispiel gelernt habe: Gentrifizierung ist also keineswegs ausschließlich zufällig, sondern zum Teil wird dies sehr genau gesteuert. Aber bleiben wir bei SoHo: Die aufstrebenden Jahre von SoHo sind mittlerweile schon länger vorbei. Goldman, Jahrgang 1943, wurde zur Mr. Gentrifizierung. Seine neuste Wette ist aber Wynwood.
Er hat den größten Teil des Areals gekauft und zu seinem Konzept gehört es —wie bei SoHo auch— Künstler gezielt einzuladen, ihre Arbeiten dort auszustellen und durch ihre Kunst das Viertel aufzuwerten. Dass das Viertel dabei selbst zur Galerie geworden ist, fasziniert mich besonders. Mehr als 60 Kunstgalerien, Installationen und Sammlungen gibt es bereits in Wynwood.
Tatsächlich, die Leute kommen. Der erste Schritt ist getan. Mitten in diesem Viertel —also mitten im Nichts— findet ihr Wynwood Kitchen & Bar (2550 N.W. 2nd Avenue, Miami, FL 33127). Das ist sowohl Bar als auch Restaurant mit Garten und angeschlossener Galerie. Als ich dort war, brummte der Laden. Die Küche soll gut sein, doch deswegen sind die Leute nicht hier. Sie wollen Teil von etwas Aufstrebenden sein. Diesen Teil der Geschichte von SoHo in Manhattan dürften die Gäste noch nicht persönlich erlebt haben. Dafür sind sie zu jung.
Hier ein paar Eindrücke aus dem Hinterhof des Restaurants und aus der angeschlossenen Galerie. Auch hier galt das Motto drinnen wie draußen: Keine Wand ohne Kunst!
Ob Wynwood Geschichte wiederholen kann und so erfolgreich wie SoHo in New York wird? Tony Goldman wird das nicht mehr erleben. Er verstarb im September.
Fotos: Manuel & Conrad.
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