Vor fünf Jahren (ja, so lange ist das schon her…) gab es bei mir im Blog den ultimativen Test: Welche ist die bessere Sonntagszeitung? Welt am Sonntag oder Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Ãœberraschend siegte 2009 eindeutig die Welt am Sonntag und nagte am Nimbus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die frischere Sonntagszeitung zu sein. Auch Franziska Bluhm kam in ihrem Paralleltest zum gleichen Ergebnis.
Wie ist das im Jahr 2014? Ich habe den Test wiederholt. Noch immer liebe ich Print, mag eine gute Aufmachung und lasse mich abseits vom erwartbaren Nachrichtenfluss in den elektrischen Medien gerne überraschen. Durch Aufmachung und Themenauswahl. Hierzu lasse ich wieder die Aufmacher der einzelnen Bücher gegeneinander antreten. Es zählt das, was über dem Bruch zu sehen ist.
Die Titelseiten
Der Punkt geht an die FAS! Mir gefällt, dass beide Zeitungen mit eigenen Themen aufmachen. FAS kümmert sich um gesunde Ernährung und warum wir von den Hobbits lernen können (wirklich originell!) und die WamS um den Wandel der Mobilität (hallo Carsharing!). Wie vor fünf Jahren hat die FAS zwar keine Frau auf der Titelseite, dennoch finde ich die Illustration in dieser Woche unschlagbar.
Bei der WamS bevorzuge ich, dass mir gleich neun Themen über dem Bruch angeboten werden (bei der FAS sind es nur drei). Aber die Optik ist so langweilig. Das Titelfoto riecht nach Shutterstock. Claudia Pechstein durfte in ihrem Portmonee nach einem Foto kramen und Szenen aus Filmen mit Leonardo di Caprio sind so einfallsreich wie die Wetteranmoderation in den Tagesthemen.
Zur Leseransprache: Die vermisse ich gänzlich. Die Themen werden klassisch nachrichtlich aufgemacht und bleiben auf ihrer eigenen Ebene, ohne eine Perspektive auf den Leser zu werfen („Minister gehen nach Hause – Arbeitnehmer ins Büro“). Schöne Ausnahme ist der Aufmacher der FAS: „Tolkiens Figuren wissen, wie man sich richtig ernährt. Das können Sie auch. Wie es geht, steht im Leben.“
Wirtschaft vs. Wirtschaft
Der Punkt geht an die FAS! Während bei der WamS wieder Shutterstock-Alarm herrscht und Carloine Turzer eine stereotype und langweilige Technikverweigerin mimt, die schon am 12. Januar vor ihren Neujahrsvorsätzen kapituliert, ärgere ich mich zunächst über die FAS. Wer ist dieser Mann? Warum soll ich das lesen? Ich bin neugierig und finde das Portrait von George Soros, der für eine europäische Schuldenunion in Berliner Ministerien ein und aus geht. Spannend. Gerne habe ich auch Bettinas Weigurys Spalte über Skilifte mit Burn-out-Diagnose gelesen.
Da der Punkt an die FAS geht, lese ich in dieser Woche den Wirtschaftsteil aus Frankfurt. Die nichtssagenden Teaser auf Griechenland und Berggruen der WamS locken mich auch nicht.
Kultur vs. Feuilleton
Der Punkt geht an die FAS! Ich frage mich gerade, ob die das ernst meinen. Gibt es eine große Fanschar von Leonardio DiCaprio, die alles liest, was mit seinem Konterfei lockt? Beim Aufmacher der WamS wird mir wieder das Leonardo-DiCaprio-Problem bewußt: Er hat schon so viele reiche und oder wahlweise zusätzlich kranke Typen gespielt, dass seine Fotos unendlich austauschbar sind. Leider werde ich erst unter dem Bruch auf die originelle Haltung des Texts aufmerksam gemacht. Die Frage: „Darf man über böse Menschen gute Filme drehen? Mit ‚Wolf of Wall Street‘ setzt Martin Scorseses dem Aktienbetrüger Jordan Belfort ein Denkmal“. Das hätte ich gerne direkt gelesen.
Und in der FAS? Da erklärt uns Sascha Lobo anhand von Freud, warum das Internet kaputt ist. Er arbeitet sich dabei an seinem Interneterklärer-Dasein ab (tl;tr: Er fordert einen neuen Internetoptimismus, der aber wohl nicht darauf beruhen sollte, dass das große Ausspähen mal vorbei sein wird). Erst wunderte ich mich: Nur Text? Die roten Worte passend zum Iro von Lobo reichen aber völlig für eine starke Seite aus. Spätestens beim Satz „Das Internet ist kaputt“ war ich ganz dabei.
Stil vs. Leben
Hier vergebe ich keinen Punkt. Die FAS hat zwar das bessere Thema, aber diesmal funktioniert der Trick mit dem Text unter dem Bruch nicht. Ich sehe die Thalbachs und erwarte einen Text über die Thalbachs. Den gibt es auch. Die spielen jetzt zusammen Theater. Wie unoriginell (also nicht deren Theaterstück).
Bei der WamS lese ich in der Spalte schon im zweiten Satz wieder etwas über Sport-Vorsätze (redet ihr in der Redaktion über nix anderes?), kann mich aber doch durchringen weiterzulesen, und erfahre etwas über Karl Lagerfelds neuem Hobby (Beinschoner!). Ich will aber nicht von der langweiligen WamS-Aufmachung zum Hauptthema ablenken. Ich wette: Wenn ich 20 Leuten auf der Straße einmal kurz diese Seite zeige, wird die Mehrheit nicht genau sagen können, dass es sich um einen schönen Hintergrund des Hypes um Gemüsesäfte handelt. Obwohl ein Saft zu sehen ist (Farbe: Dunkle Beere vor schwarzer Trägerbluse) und das Wort Saft ebenfalls dort steht (in einem hässlichen weißen Kasten mit unscharfem Rand, macht man das so in 2014?). Tolles Thema, schlecht verkauft.
Sport vs. Sport
Der Punkt geht an die WamS! Schon der erste Blick auf die bunten Strümpfe zeigt mir, hier gibt es den Nachdreh zum Sportthema der Woche. Gar nicht so einfach am Sonntag nach der Hitzlsperger-Woche einen ordentlichen Weiterdreh zu machen. Die FAS versucht es erst gar nicht und macht mit Frank Ribéry auf. Bei der Ãœberschrift „Kalt abserviert“ habe ich kurz überlegt, ob es sich doch um das Thema der Woche handelt, erinnerte mich dann aber an die „Zu einer Rocky Horror Hitzlsperger Show“ in meinem Altpapier aus der Woche erinnert. Verzicht ist auch eine Haltung, doch dafür gibt es in dieser Woche keinen Punkt.
Reise vs. Reise
Der Punkt geht an die WamS! Die FAS hat zwar das schönere Foto ausgewählt, aber die WamS konnte mir einfach erklären, warum ich mich mit Kolumbiens zweitgrößter Stadt beschäftigen soll. Ich will jetzt nach Medellin und auch noch den Rest des Reise-Teils lesen.
Kleiner Lob am Rande. Beide Spalten haben sich nicht mit gebrochenen Neujahrsvorsätzen beschäftigt. Wo kommen wir denn hin, wenn einem das schon als Pluspunkt auffällt …
Wohnen vs. Drinnen & Draußen
Der Punkt geht an die WamS! Eigentlich möchte ich mich am Wochenende auch mal so tun, als ob ich mir die Luxuswohnungen und die passende Kunst leisten kann („Warum sich nicht zusammentun?“ – Klasse!) aber ein Stück von der IFA-Konkurrenzmesse „CES International“ unter Wohnen zu packen, finde ich cool. Wohnen in der Zukunft ist sowieso ein schönes Thema. Dazu noch den Aspekt demographischer Wandel. Läuft. Die Gestaltung ist ok.
Finanzen vs. Geld & Mehr
Der Punkt geht an die WamS! „Die Währung der Enttäuschten“ ist ein tolles Thema; gesammelter Eurofrust und blaseneuphorische Blicke auf Bitcoin und andere Währungsalternativen. Irgendwie mag ich das Bild mit den zerknüllten Euroscheinen. Die Spalte „Zu dumm für Sepa?“ hat mich auch angesprochen. Räusper.
Tja, und die FAS? Langweilige Illustration. Langweiliges Thema, was natürlich sehr subjektiv ist. Der Lichtblick mit positiven Nachrichten zu überraschen —die Lufthansa kommt mal mit guten Nachrichten daher, sie sei ein Liebling der Anleger, und Daimler verkauft viele Autos—reicht nicht aus, um der WamS das Wasser zu reichen.
Bonusrunde
Für die anderen Teile vergebe ich keine Punkte. Die WamS hat einen schönen Titel-Teil zur neuen Mobilität. Der wird allerdings nur mit dem Blick aus der Retrospektive verkauft. „Alter Eisen — Früher bedeutete ein eigenes Auto Freiheit und …“. Ich habe mir das ganze Titelbild eine Minuten angeschaut und denke: Irgendwie uninspirierend. Mir fehlt der Blick nach vorne. Der NRW-Teil ist solide (Zuwanderdebatte aus NRW-Sicht), der Sonderteil zum „Deutschen Medienkongress“ ist, tja, vorhanden – und unter Beruf und Chance erfahren wir etwas über Azubis mit Dienstwagen, was wirklich interessant ist. Die Krätzmilbe in der FAS ist mein Schnuckeltier für dieses Wochenende. Hat aber trotzdem nicht geholfen, einen Punkt zu bekommen.
Das Fazit
FAS vs. WamS ergibt 3:4 — ein knapper Sieg für die Welt am Sonntag! Damit kann ich leben. Die FAS hat zum letzten Test deutlich zugelegt. Auf meiner Lektürereise gab es in beiden Zeitungen viele überraschende Zwischenstopps. Aber insgesamt waren beide Ausgaben mir heute nicht gut genug. Von beiden Zeitungen hätte ich mir eine liebevollere Optik gewünscht. Für jeweils 3,50 Euro hätte ich mir auch mehr „ach das ist ja interessant“-Momente erhofft. Das Treiben-Lassen für eine gemütliche Lektüre am Sonntag ist ein wichtiges Element. Wenn ich ehrlich bin: Hätte ich in der gleichen Zeit meine gute alte Bookmarkliste mit Blogs und kleinen Magazinen abgeklappert, wäre für mich persönlich mehr dabei rum gekommen. Legt euch mehr ins Zeug!
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