Die Macher Christian Bollert und Marcus Engert von Detektor.fm plaudern etwas aus dem Nähkästchen. Webradioforschung zeigt: Beim Webradio allgemein gibt es keine Morningdrivetime. Die Nutzung bleibt über den Tag stabil. Was ist mit neuen Webradio-Angeboten? Menschen nutzen zusätzlich zu den privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern neue Web-Sender. Webradios sind somit keine Konkurrenz, sondern werden zusätzlich genutzt. Herausforderung für Webradio-Geräte: Die Leute wollen weiter einen Knopf haben, an den sie drehen können. Keine komplizierte Menüführungen bei WLAN-Radios, sondern einfache Geräte. Punkt für Detektor.fm: Es geht nicht um neue Technologien, sondern um neues Verhalten der Hörer. Die Kombination Online + Radio sei eine „Traumhochzeit“. Aber: Das stellt auch Herausforderungen an die Ausbildung. Digitalisierung des journalistischen Alltags hält nur zögerlich in die journalistische Ausbildung an Hochschulen Einzug. Auch bestätigt hat sich der oft zitierte Jeff Jarvis Satz („Do what you do best – link to the rest“).
Detektor.fm glaubt beim Radio der Zukunft an starkes Wortradio, aber auch an „Übergangssituation des Alltags“ nach D. Ziems. Heisst: Menschen hören vor allem in Übergangssituationen – auf dem Weg zur Arbeit, nach Hause, zur Party. Herausforderung für heutige Sender: Klassische Kompetenzfelder transformieren sich (Lokales, Nachrichten, Musik, Sport, Verkehr, Wetter) – das ist eine Herausforderung. Aber bei den Themen „Live + Jetzt“ sowie „Werben“ habe das Radio weiterhin eine starke Zukunft. Von der DAB halten sie nichts, aber von LTE. Die Geschäftsmodelle diversifizieren sich: Es gibt keine goldene Kuh mehr, die geschlachtet werden kann. Es kommen viele kleine Einnahmequellen. In den letzten Jahren ist viel im Netz über Video gesprochen worden, künftig wird wieder mehr über Audio gesprochen werden. Je schneller die mobilen Netzverbindungen werden (LTE), wird es einen größeren Bedarf an Audio geben; wer kann schon beim Joggen ein YouTube-Video schauen.
Clay Shirky: „A revolution doesn’t happen when the society adopts new tools. A revolution does happen when the society adopts new behaviors.“
Detektor.fm hat nach eigenen Angaben in diesen Jahr den Break-Even geschafft. Der Durchschnittshörer lauscht im Schnitt 29 Minuten (zum Vergleich bei Radio Eins: 11 Minuten. Deutschlandfunk: 2 Minuten). Pro Tag gibt es 4.000 Hörer und 2.000 Webseitenbesucher.
Christian Bollert: „Im Autoradio höre ich den Sender, der mich am wenigsten nervt. Im Web höre ich den, den ich am liebsten mag.“
Detektor.fm hat den Vorteil, dass keine Lizenz bezahlt werden muss. Büro und die vier Mitarbeiter kosten dennoch. Die Einnahmequellen liegen bei den Werbepartnern (Bisher Spreadshirt, Helmholtz, Conrad Electronic, ikk classic), Audioprogramme (SZ [Vertonung des Streiflichts für die SZ-iPad-App], Deutschlandfunk, taz, WDR, Umwelt Bundes Amt) oder Wissenstransfer (lfm NRW, Onlineradiomaster und SLM).
Nicht zu unterschätzen: Auch einen reinen Musikstream anbieten. Der wird häufig und gerne genutzt. Im Büro ist ein 10 Minuten Stück von Heribert Prantl über das Leistungsschutzrecht nicht immer gerne gehört. Außerdem: Google News bringt mehr Traffic als soziale Netzwerke.
Markus Engert: „Man findet uns über unsere Überschriften (also Inhalte) und nicht über irgendwelche Banner.“
Christian und Markus stellen außerdem die CrowdApp vor, mit der sie die Sendung vox:publica auf der re:publica zusammen mit den Hörern produziert haben. Die App stellt nicht nur Fragen zu einem bestimmten Thema, sondern auch konkrete Aufgaben für die Hörer. Hintergründe gibt es bei hoerfunker.de. Jetzt überlegen sie, wie sie die in den redaktionellen Alltag integrieren können. Die freien Mitarbeiter von detektor.fm haben die App auch installiert.
Eine Chance aber auch Herausforderung für Medien: Marken werden immer öfter zu Medien (und benötigen im nächsten Schritt gute Inhalte). Wirtschafts-Marken erreichen über Facebook und Twitter mehr, als traditionelle Medien es über soziale Netzwerke schaffen. Marken starten im Netz aber auch eigene Zeitschriften, Radiostreams oder TV-Sender (Red Bull). So wird Adidas einen eigenen Radiosender rund um die Olympischen Spiele starten, um die eigenen Sportler zu featuren.
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Die TagesWebSchau und die Digitale Garage vorgestellt von Marcello Bonventre, Redaktionsleiter der Digitalen Garage.
Zum Start der Digitalen Garage haben sie geschaut: Wie viele Inhalte von Radio Bremen innerhalb von einer Woche sind für die junge Generation ansprechend oder gar „teilenswert“? Nur sechs Fernsehbeiträge und gut 40 Radiobeiträge. Die Joint-In-Motivation der jungen Hörer ist begrenzt. Die Meisten wollen einfach nur konsumieren. Inhaltlich törnt auch das Themenspektrum „Bremer Politik“ ab. Aber: Das hat vor allem etwas mit dem Wording zu tun. Die Themen kommen an, wenn zum Beispiel berichtet wird, was konkret im Stadtteil oder vor der Haustür passiert. Sobald aber mit dem Label „Bremer Politik“ gearbeitet wird, schreckt das aber ab. Beliebtestes Format heute bei jungen Menschen: Peters Zudeicks Woche.
Projekte: Mein Stadtteil, Lebenslang Grün-Weiß, die Plattdeutsch-App.
Insights: Es lohnt sich bei einigen Projekten einen guten Endpunkt zu setzen, sodass Projekte nicht ab einen gewissen Punkt vor sich hinplätschern. Bonventre sagt auch, dass er nie wieder eine App nur für iOS herausbringt, denn „Android-Nutzer können ganz schön zornig sein und sehr engagiert.“
Zur TagesWebSchau: Ziel ist ein junges Info-Format für aktuelle Themen mit Netzperspektive. Die Online-Version lädt zum Weiterklicken an. Die erste Ausstrahlung läuft linear auf tagesschau24 – erst dann kommt das Web und die Verbreitung über Social Media. Es soll journalistisch und locker sein aber nicht albern.
Der Rückkanal ist nicht fertig geworden. Der Twitter-Kanal sei momentan nicht sensationell, aber schon mal ein Schritt. Bald können eigene Beiträge direkt kommentiert werden. Aktuell wird ein Multi-Netzwerk-Login erstellt. Geplant wird die Authentifizierung von Facebook, Twitter, Google+ und ein eigener Radio-Bremen- oder Tagesschau-Login. Was nicht einfach ist: Die Grafik wird in Frankfurt produziert und die Sendung wird in Hamburg abgenommen. Das sei gut für die Qualität, aber ein Problem für die Schnelligkeit. Aktuell arbeiten die Rechtsabteilungen von Radio Bremen und NDR an „dicken Handbüchern“, damit die Journalisten wissen, wie und was sie mit Netzinhalten machen können. Da die TagesWebSchau auch auf den Webseiten von vielen jungen Wellen eingebunden wird, gibt es demnächst Schnittstellen für den interaktiven Player. Im „Related Content“ (so heisst das) können dann eigene Inhalte künftig ergänzt werden.
3 Redakteure bereiten in Bremen die TagesWebSchau vor. 2 Redakteure kümmern sich um die Vorbereitung der Themen und ein Newsredakteur kümmert sich um die Inhalte. Es gibt einen Tagesschau-Redakteur, der am Ende des Tages die Themen abnimmt und in Frankfurt sitzt ein „halber“ Grafiker. Für die langfristige Planung gibt es noch 1 1/2 Reporter, die die TagesWebSchau unterstützen.
Morgens gibt es um 09:30 Uhr eine Konferenz zwischen Digitaler Garage, YouFM und ARD-Aktuell. Dann wird gearbeitet und um 15:45 Uhr muss der erste Beitrag nach Hamburg zur Abnahme geschickt werden, damit um 17 Uhr die Ausgabe pünktlich veröffentlicht werden kann.
Hausaufgaben: Klickzahlen-Auswertungen müssen noch auf die Beine gestellt werden (komplexe Ausspielwege). Auch das Feedback wird noch ausgewertet. Was aber schon nach zwei Wochen feststellbar ist: Die Nutzer wünschen sich Tiefe.
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